Self-Care: Mir selbst zuliebe

Die Entscheidung, Liebe zur Grundlage unseres Lebens zu machen, liegt, wie immer, bei uns selbst.

Für viele Menschen ist die sogenannte „vitale Erschöpfung“ mit übermäßiger Müdigkeit, Reizbarkeit und allgemeiner Energielosigkeit alltäglich geworden.

Dementsprechend überflutet uns ein Gesundheits-Tourismus, der mit zeitgemäßen Wegen zwischen Stress und Erholung den zunehmend erschöpft lebenden Menschen Fitness, Sport, Yoga, Selbstfindungstechniken, Reisen, Outdoor-Erfahrungen, Angebote für Lifestyle und Lebenslust, Gesundheits-Oasen, Hotels, Dienstleistungen, Produkte und vieles mehr bietet, um sich die entsprechende Belohnung für den stressvollen Alltag zu holen – jenseits des alltäglichen Lebens.

Dies wird auch Aktiv-Wellness genannt und unter dem neuen Modewort Self-Care weltweit verkauft.

Auch ich war Self-Care Konsument und griff in meine Aktiv-Wellness Box, je nachdem was ich gerade meinte zu brauchen, um meinen Lifestyle aufrechtzuerhalten.

Mein Leben bestand aus ständiger Selbst-Medikamentierung, sei es durch Freizeit oder Self-Care Aktivismus – meine Lebensmedizin hatte vielleicht verschiedene Geschmäcker, bestand aber letztendlich aus den gleichen Zutaten:

Auf der einen Seite benutze ich z.B. alle möglichen Energizer von Kaffee, über Zucker, Alkohol, Kokain, Entertainment und insbesondere Stress, damit ich so funktionieren konnte, wie es gerade in mein Freizeit-, Arbeits- oder generelles Lebensprogramm passte, während auf der anderen Seite mir meine Gesundheit und mein Wohlergehen wichtig waren und ich mir die entsprechende Belohnung und Erholung gab, um meinen ausgebrannten Körper wieder in Form zu bringen. In Wahrheit behandelte ich meinen Körper aber, als würde ich ein Auto, ohne irgendwelche Stopps oder Check-ups, ständig auf Hochtouren im ersten Gang fahren und mit dem Benzin füllen, welches gerade da war und ihm nur die notwendige Zuwendung geben, wenn es bereits starke Anzeichen von sich gab, seine Funktionsfähigkeit aufzugeben.

Ich lebte, als wäre mein Leben aus verschiedenen Modulen zusammen gesetzt, die unabhängig von einander nebenher funktionierten, ohne eine wirkliche Verbindung zwischen den verschiedenen Lebensweisen herzustellen.

„Alles in Maßen" war mein Lebensmotto und dieses vermeintliche Maß verbrauchte so langsam meine Ressourcen.

Angeregt durch einen Workshop von Universal Medicine mit Therapeut und Philosoph Serge Benhayon, schaute ich mir meine Lebensweise genauer an und stellte fest, dass es für mich bereits normal war:

  • mich oft psychisch und physisch erschöpft zu fühlen
  • Stress zu benutzen um den notwendigen buzz, sprich Dampf zu haben, ständig auf Hochtouren weiterzufahren
  • ein Gefühl des ‚Wieder-Auflebens’ nach 20.00 Uhr zu erleben, welches meine Fähigkeit, rechtzeitig zu schlafen störte
  • Alkohol in jedem sozialen Zusammensein zu konsumieren und mich am Wochenende verkatert im Bett zu erholen
  • abends überwiegend aufgrund des ‘maßvollen’ Alkoholkonsums einzuschlafen (das gute Glas Rotwein zum Abendessen brachte mir die notwendige Müdigkeit)
  • auch nach stundenlangem Schlafen müde zu sein und mich beim Schlafen nicht wirklich zu erholen (sprich, mich trotz mehr als 8-stündigem Schlaf müde und ausgelaugt aus dem Bett zu quälen)
  • Hungergelüste, besonders nach Salzigem oder Süßem zu verspüren
  • ständig Nackenschmerzen, Blähungen und Verstopfungen zu haben
  • gelegentlich Kopfschmerzen zu haben
  • sehr schnell Erkältungen zu bekommen

Obwohl der Workshop mit Serge Benhayon mich anregte, meine Lebensweise zu beobachten und ich zu meinem Erschrecken erkannte, dass ich frühe Symptome der Erschöpfung und des Burn-outs hatte und feststellen musste, wie sehr ich doch ein gewisses Unwohlsein normalisiert hatte, änderte ich nicht wirklich was. Ich kannte es ja auch gar nicht anders, und ich hatte auch überhaupt keinen Anhaltspunkt in meinem Körper, der mir vermittelt hätte, wie sehr ich doch auf Sparflamme lebte und eine Lebensweise als normal akzeptiert hatte, die auch um mich herum von allen so gelebt wurde.

Dann wurde ich schwanger, unvorhergesehen, ungeplant und unentdeckt, bis die Anzeichen in der 5. Schwangerschaftswoche nicht mehr zu ignorieren waren, und ich mich nach der positiven Bestätigung und dem ersten Ultraschallbild entschied, das Kind zu bekommen.

Ich bekam plötzlich ein ganz anderes Verantwortungsgefühl für meinen Körper und entschied, mich zu stoppen, nicht mehr auf jeder Party zu tanzen, abends früh ins Bett zu gehen und mich um mich zu kümmern. Mir war bewusst, dass so wie ich lebte, mein Körper keine nährende und gesunde Grundlage für ein ungeborenes Kind war. Ich war schwanger, ich hatte einen Grund, jeder hatte Verständnis und niemand stellte mich in Frage, als ich den Freizeitkonsum psychoaktiver Drogen stoppte, aufhörte zu rauchen, Alkohol und Kaffee zu trinken und mein Leben radikal änderte.

Ich stieg regelrecht aus meinem gewohnten Lebensstil aus und kam dadurch mehr mit meinem Körper und mit mir selbst in Kontakt und, wie ich heute weiß, mit meiner inneren Stille, dem natürlichen Zustand des weiblichen Körpers, in den Frauen während der Schwangerschaft von selbst zurückkehren. Ich fühlte eine mir sehr vertraute, innere Ruhe und absolute Zufriedenheit mit mir selbst, die ich aus meiner Kindheit kannte und fühlte mich erinnert an die ersten Jahre mit meiner Nichte und die Zufriedenheit und absolute Präsenz, die Kinder in diesem Alter leben.

Einfach nur zu sein. Ich erlaubte mir, einfach nur zu sein.

Ich fing an, auf meinen Körper zu hören und dieser sprach sehr deutlich zu mir.

Auch als ich Ende des 3. Monats eine Fehlgeburt hatte.

Meine Reaktion war, nach meiner Genesung so schnell wie möglich wieder zu meinem gewohnten Lebensrhythmus des maßvollen Konsums zurückzukehren. Es war wie eine natürliche Schlussfolgerung der Tatsache, dass ich nun kein Kind bekam und ich somit wieder in mein gewohntes Leben einstieg.

Das schwanger sein war ein weiteres Modul gewesen, das von mir forderte, eine gewisse Rolle anzunehmen, die eine gewisse Lebensweise mit sich brachte. Die biologische Mutterrolle rechtfertigte, dass ich verantwortungsvoller mit meinem Körper war, verantwortungsvoller bedeutete in dem Moment Verzicht auf Dinge, die mir und dem ungeborenen Kind nicht gut taten. Dieser Verzicht hatte keine Rechtfertigung mehr, als der Zustand ‚schwanger sein’ beendet war.

Nach kurzer Zeit jedoch ließ mich das dumpfe Gefühl der schwindenden Klarheit und der vertrauten inneren Stille in meinem Körper erneut stoppen, und ich stellte mir die entscheidende Frage, warum ich denn nicht, wie ich vorher für mich und das ungeborene Kind Verantwortung übernommen und gesorgt hatte, genauso nur für mich sorgen konnte?

Ich hatte eine Qualität in meinem Körper erfahren, die ich mit meinem gewohnten Lifestyle nicht halten konnte, und mir wurde bewusst, wie sehr mein Leben doch ein sich immer drehendes Karussell eines Lebensstils war, den ich als unterhaltend, interessant, hip und von hoher Lebensqualität verstand, der aber mit wirklicher Qualität und Wohlbefinden nichts zu tun hatte.

Die Schwangerschaft und die darauf folgende Fehlgeburt hatten mir auf sehr praktische Art und Weise vermittelt, welch immenses Potential in unseren Körpern liegt. Später verstand ich auch, warum Frauen, die diesen Zustand der inneren Stille annehmen können und nicht durch einen konträren Lebensrhythmus bekämpfen (mit den Folgen von Morgenübelkeit und Unwohlsein), gerne schwanger sind. Ich war mit meiner Essenz in Kontakt gekommen und hatte am eigenen Körper erfahren, was wirkliches Wohlbefinden ist. Ich begriff, dass diese, meine wahre Essenz nichts mit dem Bild, das ich von mir hatte, zu tun hatte und dass ich diese Vollkommenheit, die ich immer in mir trage (nicht nur im schwangeren Zustand), mit meinen tagtäglichen Entscheidungen kontinuierlich und strategisch bekämpfte und dabei noch glaubte, ein gutes Leben zu führen.

Ich begann zu verstehen, dass das, was ich bis dahin als Verzicht verstanden hatte, nichts im Vergleich war zu dem Verzicht an Qualität, den ich nun in meinem Körper spürte.

Ich entschied mich also, fürsorglicher mit meinem Körper umzugehen und stieg erneut aus diesem mich selbst vernachlässigenden Lebensstil aus.

Eine nicht einfache Entscheidung, die auf große Irritationen und Ablehnung in meinem gesamten Umfeld stieß. Ich wurde der Party Pooper, die Extreme, hatte offensichtlich ein Problem und stand unter schlechtem Einfluss. Warum sollte ein normaler Mensch auch grundlos (nicht schwanger, keine ernsthaften Krankheiten, etc.) auf all die ‚guten Dinge’ im Leben verzichten, wenn doch der maßvolle Konsum die Norm des guten Lebens ist?

Mir aber war bewusst geworden, dass wahres Self-care, wirkliche Selbst-Fürsorge, die Qualität ist, in der ich permanent lebe. Eine Qualität, die sich auf eine fürsorgliche Art und Weise um Dinge und Probleme kümmerte, mit deren Beseitigung ich sonst ständig beschäftigt war und die jetzt erst gar nicht mehr in Erscheinung traten.

Ich hatte verstanden, dass wahres Self-Care nichts damit zu tun hat, mich wieder in Ordnung zu bringen, sondern vielmehr damit, wie ich mit mir selbst umgehe, wie ich mich selbst kümmere, ‚erziehe’ oder ‚großziehe’ und tagtägliche Entscheidungen treffe, die mein beständiges Wohlergehen erhalten und vertiefen oder bekämpfen.

Serge Benhayon vermittelt nunmehr seit 1999, dass Self-Care der erste Schritt zu mehr Selbst-Liebe und somit einer Lebensweise in Liebe ist. Liebe zu unserer grundlegenden Lebensform zu machen bedeutet, unserem Körper seine Wahrnehmung zurück-zu-geben und in einem klaren und feinfühligen Körper zu leben, der fühlen kann, was in einem selbst und anderen vorgeht, einem Körper, der in Offenheit lebt, mit anderen in Kontakt geht und das, was um einen herum passiert, deuten und verstehen kann.

Ich habe somit angefangen, Verantwortung für die Qualität, in der ich mich bewege zu übernehmen und somit quasi Trendsetter einer Lebensweise in Liebe zu sein – einer Lebensweise, die mich meist nicht sonderlich populär macht, aber meinen sechsten Sinn und meinen Körper an erste Stelle stellt.

Aktiv-Wellness und Consumer Self-Care sind somit heute für mich Mitspieler einer Lebensweise, die sich dafür entschieden hat, den Körper als Konsumgut solange gegen die Wand zu fahren, bis es nicht mehr geht. Wir werden durch den sogar statistisch belegbaren kontinuierlichen Anstieg von Krankheiten und globalem Elend, bankrotten Gesundheitssystemen, zunehmender Gewalt und Missbrauch etc. gezwungen sein anzuhalten und uns die entscheidende Frage zu stellen, warum wir eigentlich hier sind und was der wirkliche Sinn des Lebens ist.

Die Entscheidung aber, Liebe zur Grundlage unseres Lebens zu machen, liegt, wie immer, in jedem kleinen Moment bei mir selbst.

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  • Von Rachel Andras, MA Gender & Development, MA Social Education