Ihr sollt es mal besser haben
Ihr sollt es mal besser haben
„Ihr sollt es mal besser haben, als wir es hatten“ – diesen Satz habe ich in meiner Kindheit immer wieder gehört. Meinen Eltern war es wichtig, uns die Dinge zu ermöglichen, die sie sich selbst als Kinder gewünscht hätten, für die aber weder Geld, noch Zeit oder Verständnis da waren.
Faktisch hieß das: ich wurde wann immer nötig mit dem Auto zu Freunden chauffiert, hatte die Haustiere, die ich mir wünschte, bekam zu Weihnachten, was ich mir wünschte, … Meine Mutter war immer zu Hause, kümmerte sich um uns und den Haushalt und ließ uns früh mithelfen und alles selbst lernen. Wir lebten auf dem Land, meine Großeltern lebten im selben Haus, es gab einen riesigen Garten und viel Natur drum herum zum Spielen. Kurz und gut, ich hatte das, was man landläufig eine wohlbehütete Kindheit nennen würde.
Ganz praktisch hat das zum Beispiel dazu geführt, dass ich, als ich von zu Hause auszog, in der Lage war, einen eigenen Haushalt in der gleichen Qualität zu führen, die ich von zu Hause kannte und mit den ganz praktischen Alltagsdingen leicht auf eigenen Beinen stehen konnte.
Gestern Abend, knapp zwanzig Jahre nach dem Auszug aus meinem Elternhaus, kam beim Abendessen das Gespräch darauf, was wir unserem Sohn fürs Leben jeweils mitgeben möchten und dabei ist mir etwas ganz entscheidendes klar geworden und ich habe verstanden, warum ich trotz meiner wohlbehüteten Kindheit als junger Erwachsener so unsicher und haltlos war.
Die äußeren Rahmenbedingungen waren nahezu perfekt gewesen und meine Eltern hatten sich mit Worten und Taten alle erdenkliche Mühe gegeben, uns fürs Leben auf solide Füße zu stellen. Aber etwas entscheidendes hatte Ihnen niemand vorgelebt, nämlich, was es bedeutet, sich selbst bedingungslos zu lieben und so ein Gefühl von innerem Zuhause zu haben, das von allem Äußeren unabhängig war. Da es ihnen niemand vorgelebt hatte, konnten sie uns dies auch nicht vorleben.
Wir denken, dass wir das meiste über Worte am besten vermitteln können. Wir geben unserem Leben und dem unserer Kinder durch Regeln einen Rahmen und Struktur. Wie jedes andere Säugetier auch, lernen wir aber – vor allem als Kinder - in Wahrheit am meisten durch Beobachtung und Nachahmen – und nicht über Worte und materielle Anreize.
Sprich, wenn ich meinem 3jährigen Sohn versuche zu vermitteln, dass er mehr auf seinen Körper achtgeben soll, statt überall anzuecken, weil er so vieles so schnell entdecken möchte, kann ich ihn ermahnen und ihm erklären was besser wäre. Wahrscheinlich erreiche ich dadurch sogar eine Konditionierung und Änderung seines Verhaltens, weil er erkennt, dass ich mich entspanne, wenn er nicht ständig irgendwo aneckt. Aber wirklich vermittelt, was auf seinen Körper zu achten heißt, habe ich ihm damit nicht.
Wenn ich beobachte, dass meinem Kind etwas schwerfällt, ich das Gefühl habe, dass es Unterstützung braucht, oder ich ihm etwas fürs Leben mitgeben möchte, ist das kraftvollste, was ich tun kann, meinen Blick von meinem Kind zu lösen und mir selbst zu zuwenden. Erkennen, wo ich in meinem Leben mit der jeweiligen Thematik anders umgehen kann.
Beim Beispiel mit meinem „aneckenden“ Sohn hieße das, ehrlich hin zu schauen, wo ich auf einer anderen Ebene genau das gleiche mache wie er. Zum Beispiel in meinem Kopf so sehr auf etwas fixiert bin, dass ich erledigen muss, dass ich am Ende zwar die Aufgabe erledigt habe, aber weder weiß, wie ich von A nach B gekommen bin, noch woran ich unterwegs vorbeigelaufen bin - geschweige denn, was mein Sohn inzwischen gemacht hat, oder wie es ihm und den anderen wirklich geht, mit denen ich gerade in einem Raum bin.
Wenn ich mir mein Verhalten anschaue und es bewusst ändere, gebe ich meinem Kind die Möglichkeit das gleiche zu tun.
Meine Worte werden in dem Fall in meinen Bewegungen und Taten sicht- und greifbar und ich habe gleichzeitig ein tieferes Verständnis dafür, wie es meinem Sohn gerade ergeht. Meine Ermunterungen und Ermahnungen werden so von leeren Worten, die Druck machen, zu einer vorgelebten Erkenntnis und einer Einladung zum gemeinsamen Lernen auf Augenhöhe. Auf dieser Basis entsteht wirkliche Autorität, da ich das, was ich vermitteln möchte vorlebe und damit real, greifbar und zugänglich werden lasse.
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