Aber ich bin doch Dein Vater
Aber ich bin doch Dein Vater
Wenn ich diesen Satz als Kind gehört habe, hat es sich in mir immer angefühlt, als wäre im Gesprächsfluss plötzlich ein Stock in die Fahrradspeichen gekommen. Ein Moment, der bestenfalls mit einer unsanften Bremsung, eher aber mit einem schmerzhaften Flug über den Lenker endet.
Denn was um alles in der Welt sollte so besonders daran sein, Vater, Mutter, Oma, Opa, … zu sein? Warum sind diese Rollen scheinbar so erstrebenswert und meist vor allem ein Totschlagargument, wenn nichts anderes der eigenen Autorität das gewünschte Gewicht verleihen kann?
Inzwischen war ich selbst 3 Jahre lang Vater, Pflegevater, und bin immer wieder erstaunt, welch interessante Blüten das Verständnis von Rollen so treiben kann. Sobald ich Vater bin, hänge ich in einem Bewusstseinsfeld, ob ich will oder nicht. Ich bin mit Idealen, Vorstellungen und Ansichten konfrontiert, die es ohne Kind in meinem Leben so nicht gab, an denen ich jetzt aber gemessen werde und mich daran messe. Von einem Vater – genauso wie von einer Mutter, einem Onkel, einer Oma, oder einem Sohn hat jeder von uns eine Vorstellung – also quasi eine Schablone im Kopf. Geformt ist diese Schablone z.B. davon, wie ich meinen Vater als Kind erlebt habe, was mit ihm besonders schön war, was ich unmöglich fand oder worunter ich gelitten habe. Anhand solcher Aspekte schneide ich mir eine „Vaterschablone“ innerlich zurecht und sobald dann jemand vor mir ist, der die Bedingung Mann mit Kind = Vater erfüllt oder ich selbst Vater werde, wende ich die Schablone an und gleiche denjenigen – meist unbewusst - mit dieser Schablone ab. Mein Gegenüber ist in meiner Wahrnehmung nun nicht mehr einfach er selbst, sondern zu mindestens einem großen Prozentsatz zuallererst Vater – und ich „prüfe“ und „bewerte“ mehr oder weniger unbewusst, wie er diese Rolle ausfüllt und begegne ihm entsprechend.
Die eigenen Väter sind in diesem Zusammenhang entweder das große Vorbild oder der Maßstab für das, was man definitiv nicht sein möchte – was im Endeffekt das gleiche ist, denn sobald ich an meine Aufgabe als Vater mit einem Katalog von Maßstäben, wie alles zu sein hat, herangehe, werde ich vor allem versuchen, diesen Maßstäben gerecht zu werden und mich und mein Kind daran messen.
Hierbei verpasse ich etwas ganz Wesentliches, nämlich in der Beziehung zu meinem Kind – und zu mir – auf innerer Augenhöhe zu sein.
Ja, da ist jemand, der meiner Aufmerksamkeit und Fürsorge bedarf und gewisse Dinge aufgrund seines physischen oder psychischen Entwicklungsstandes nicht so ausdrücken und ausführen kann wie ich. Aber in diesem kleinen Körper habe ich ein fertiges Wesen vor mir, das in zig anderen Leben selbst wahrscheinlich hunderte von Malen selbst Vater war und, auch wenn es darauf vielleicht keinen aktiven Zugriff hat, innerlich ganz genau weiß, wie das Leben und die ganze Vater-Kind-Sache funktionieren.
Wenn ich meinen Blick dahingehend ausrichte, dass der Mini-Mensch an meiner Seite nichts wirklich neu lernen muss, sondern alles eigentlich schon zigmal gemacht hat, wird mir bewusst, dass da nicht ein unbeschriebenes Blatt oder jemand „Dummes“ ist, der von mir lernt, sondern dass wir beide lernen und zwar gemeinsam und in jedem Moment.
Ja, ich bin derjenige der wahrscheinlich oft gefragt sein wird, Grenzen zu setzen oder Dinge auf ganz weltlicher Ebene zu erklären, aber jeder Moment, den wir erleben, ist ein Lernangebot - für uns beide.
„Aber ich bin doch Dein Vater“ beschränkt mich auf eine biologische/rechtliche Tatsache. Die Größe dessen, was es heißt, Vater zu sein und die Freude, die es macht, gemeinsam mit einem Kind durchs Leben zu gehen, ist jedoch weit mehr als das. Vater sein ist eine Jobbeschreibung, die es gilt, mit Leben und Liebe zu füllen und bei der ich hierarchisch gesehen gleichzeitig CEO und Putzfrau bin und nur Teamwork uns weiterbringen kann.
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