Aus Schuldzuweisungen herauskommen

Verantwortung für mein Wohlbefinden in Beziehungen übernehmen

Aus Schuldzuweisungen herauskommen

Wer kennt das nicht, man kommt nach Hause, und die Schuhe im Flur stehen mitten im Weg, der Müll ist voll und die Küche nicht aufgeräumt. Und der Partner sitzt auf der Couch und schaut sich Videos auf Facebook an.

Da ist der Streit quasi schon vorprogrammiert, oder?

Zumindest war es das bei mir. Ich hatte unzählige Erwartungen, wie sich jemand um mich herum in meiner Wohnung zu bewegen hat und wo die Dinge zu sein haben. Das hieß im Umkehrschluss aber leider nicht immer, dass ich die Dinge, die ich von anderen erwarte, selbst konstant umgesetzt hätte. Ein Beispiel: Ich möchte die Küche immer sauber und aufgeräumt antreffen, hinterlasse sie selbst aber nicht immer so.

Diese Erwartungen brachten es mit sich, so wie das Erwartungen gerne tun, dass sie enttäuscht wurden. Also dass die Realität nicht dem Idealbild entsprach, wie ich es mir in meinem Kopf ausgemalt hatte.

Und so ging es meiner Partnerin auch. Sie hatte genauso wie ich Idealbilder, wie ich wiederum zu sein hatte, lebte dies aber selbst auch nicht zuverlässig vor.

Es gab verschiedene Wege, damit umzugehen:

  • nichts sagen, innerlich aber einen Groll dagegen hegen

  • es ansprechen, aber mit der Haltung, dass ich Recht habe und der andere es nach meinem Willen umzusetzen hat

  • wütend werden und den anderen dafür beschuldigen, dass ich wütend bin

  • es ansprechen, mit einer weiteren Erwartung obendrauf, dass der andere sich reumütig zeigt, entschuldigt und es ab sofort ändert. Also mit der Einstellung, dass ich richtig liege und der andere falsch und dies doch auch bitte zugeben soll

  • sich auf einen Kompromiss einlassen. „Wenn ich etwas nach deiner Erwartung umsetze, machst du das für mich umgekehrt auch", obwohl beide das eigentlich nicht so empfinden

  • Schweigen beider Seiten

All diese Dinge hatten wir durch, zu Hauf. Und keine dieser Strategien hat uns wirklich weitergeholfen.

Auch nicht dieser vermeintlich toll aussehende Kompromiss. Das Wort Kompromiss enthält ja rein von der Wortbedeutung her schon, dass ich einen Teil von mir komprimiere. Also in eine Form quetsche, die dieser Teil von Natur aus eigentlich nicht hat.

Zwar kann es dann eine Zeit lang funktionieren, dass die Küche jeden Abend aufgeräumt ist vorm ins Bett-Gehen, basiert das aber auf einem Kompromiss, hält das meiner Erfahrung nach entweder nicht lange an, oder die Intimität mit meinem Partner nimmt rapide ab, da meines Gefühls nach jeder ein Stück von sich abgetrennt hat, um diese arrangierte Harmonie zu erfüllen, in Wahrheit aber beide nicht mehr ganz sie selbst sind.

Denn wenn ich etwas umsetze, ohne innerlich selbst davon überzeugt zu sein, ohne dass es sich innerlich für mich wahr anfühlt, beschneide ich einen Teil von mir. Heißt, mein Gegenüber bekommt ab diesem Moment schon nicht mehr mein ganzes Ich zu Gesicht. Folglich hieße das - je mehr Kompromisse, desto verzerrter die Beziehung, weil wir beide eigentlich nicht wir selbst sind.

Hier kommen für mich die Fragen auf:

  • Bin ich in einer Beziehung, um meine Bedürfnisse und Erwartungen bedient zu bekommen, oder bin ich in einer Beziehung, weil ich mit meinem Partner wachsen will?

  • Will ich mich entwickeln und meinem Partner so gut ich kann dabei helfen, auch sich zu entwickeln, damit wir beide am Ende, jeder für sich, in seiner ganzen Größe nebeneinander durchs Leben gehen?

Wie also mit der Situation Schuldzuweisung und Erwartung umgehen?

Absoluter Game Changer für mich war und ist es, Verantwortung für meine Stimmung, für mein Wohlbefinden zu übernehmen. Und das komplett.

Das ist anfangs herausfordernd, denn es zeigt uns, wie viel wir eigentlich von dem anderen erwarten, der mit uns lebt.

Verantwortung für alles selbst zu übernehmen. D.h. rein praktisch beim Thema aufgeräumte Küche bleibend, dass ich sie selbst aufräume. Oder, dass ich sie nicht aufräume, aber das ohne ein Gefühl des Frusts oder irgendeinem anderen negativ Gefühls.

Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um eine Partnerschaft handelt, in der beide ein Grundmaß an Bereitschaft dazu haben, gemeinsam zu wachsen.

Hier geht es darum, das, was ich für mich möchte, selbst zu leben. Wenn ich alleine lebe, muss ich die Wohnung ja auch selbst in dem Zustand halten, in dem ich sie als unterstützend empfinde. Und dasselbe gilt auch, wenn ein anderer dazu kommt. Und ja, das heißt auch, den Kram in der Küche vom anderen mit wegzuräumen, wenn es das ist, was ich brauche, um mich wohl zu fühlen.

Dieses Willens-sein, komplett alleine Verantwortung für mich, meine Handlungen und mein Wohlbefinden zu übernehmen, bringt verschiedene Dinge mit sich:

  • der andere hat Raum zu beobachten und zu fühlen, wie sich eine aufgeräumte Küche auf das Wohlbefinden ausübt

  • er kann sehen, dass es mir wichtig ist, so wichtig, dass ich es jeden Tag allein mache

  • ich und mein Wohlbefinden sind unabhängig davon, wie mein äußeres Umfeld sich verhält


Um diesen Prozess zu unterstützen sind meiner Erfahrung nachfolgende Werkzeuge nützlich:

  • miteinander reden, was es mit einem macht, wenn etwas nicht der Erwartung ent-spricht

  • zusammen herausfinden, welche Erwartungen man aneinander hat

  • schauen, ob dieses Gefühl mit etwas anderem aus der Vergangenheit zusammenhängt

  • nicht Recht haben wollen und wahrlich zuhören (eine tolle Übung ist hier, alles was der andere sagt, zu wiederholen, Wort für Wort, ohne in die eigene Verteidigung zu gehen. Erst, wenn der andere fertig ist, bin ich dran.)

Das alles ist anfangs wie gesagt herausfordernd. Aber es lohnt sich. Dann kann der andere neben einem seine Launen haben am Ende des Tages, ohne dass es das eigene Wohlbefinden tangiert.

Wenn das nicht wahre Befreiung ist, dann weiß ich es auch nicht. Für mich ist es das jedenfalls. Von Tag zu Tag mehr und mehr.


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  • Von Mareike Kapp, Studentin der Medieninformatik, Schauspielerin, Coach

  • Foto: Leonne Barker, Bachelor of Communications