Frauen und Heilung

Heutzutage finden wir uns weltweit in der Situation, dass das weibliche Wohlbefinden und der gesundheitliche Zustand der Frauen mit dem ultimativen Krankheitsmarker unserer Zeit gemessen wird: Krebs, und am häufigsten Brustkrebs.

Krebserkrankungen sind tagtägliche Realität geworden und in vielfacher Hinsicht leidvoll, sowohl für die betroffene Frau als auch für die Menschen in ihrem Umfeld, welche die Folgen und Auswirkungen der Sorge und der Angst vor dem potenziellen Verlust eines geliebten Menschen erleben.

Jede an Krebs erkrankte Frau (wie jede andere Person auch) braucht die allergrößte Fürsorge und verdient es, mit echtem Mitgefühl und Verständnis behandelt zu werden. Es stellt sich jedoch die Frage, wie viel Fürsorge wir denn für uns selbst tatsächlich akzeptieren, wenn das Maß für „gesund“ für viele lediglich die Abwesenheit von messbaren, bösartigen Krebsgeschwüren im Körper ist? Wie vielen Anzeichen oder Botschaften unseres Körpers, die uns mitteilen, dass die Art wie wir leben unser Wohlbefinden negativ beeinflusst, messen wir keine Bedeutung bei oder ignorieren sie gar ganz, nur weil wir ja (noch) keine Krebserkrankung oder irgendein anderes medizinisch definiertes Leiden haben?

Wir leben in einer Welt, in der es allgemein akzeptiert wird, dass Frauen mit Myomen und Zysten in der Gebärmutter oder in der Brust leben. Schmerzen sind zu einem unangenehmen aber akzeptierten Bestandteil der Menstruation geworden, und Unregelmäßigkeiten oder gar das Ausbleiben der Menstruation sind Zustände, mit denen wir einfach so leben. Das Älterwerden der Frauen ist gekennzeichnet von Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und dem Verlust der Libido als ein zu erwartender Zustand der „Post-Ära“, der Lebensphase nach dem „Hauptereignis Menstruation“, bevor eine Frau nach den Wechseljahren den erwarteten „Abstieg“ ins Abseits des Lebens beginnt.

Und noch schlimmer: Wenn nicht bereits diagnostiziert, verfolgt uns das Schreckgespenst Brustkrebs unser ganzes Leben. 1 von 8 Frauen in Deutschland erhält diese Diagnose, oder wie Statistiken in den USA alarmierend aufzeigen: Alle 2 Minuten wird eine Frau mit Brustkrebs diagnostiziert.

Trotz dieser Tendenz der normalisierten Akzeptanz von Unwohlsein und Schmerzen machen aber viele Frauen die Erfahrung am eigenen Körper und/oder im Zusammenleben mit anderen Frauen (und Männern), dass unser Körper uns Signale gibt, lange bevor es zur Bildung einer Zyste, eines Myoms oder Krebsgeschwürs kommt.

Diese Anzeichen, die von den meisten als scheinbar unbedeutend eingestuft werden, weisen auf eine Disharmonie hin, die, wenn unbeachtet, zunimmt. Und so häufen sich im Laufe der Zeit im Körper die Irritationen, Unstimmigkeiten und „kontra-physiologischen Prozesse“ und es entsteht gewissermaßen eine Umgebung bzw. ein Milieu, von dem anzunehmen ist, dass es die Entstehung von Krankheit begünstigt oder möglicherweise sogar verursacht.

Die moderne Medizin ist unschlagbar in ihrem post-kausalen Ansatz und der technologische Fortschritt beschert uns eindrucksvolle Lösungen, die auch oft langfristig in der Lage sind, unsere oft ungesunde Lebensweise auszugleichen und uns funktionsfähig zu halten. Wir haben einen Zustand erreicht, der es ermöglicht, dass wir unseren Körper lange Zeit ignorieren können, da es fast immer eine Lösung gibt, die uns irgendwie erlaubt, so weiter zu leben wie bisher.

Auf der anderen Seite aber zeigt uns nicht nur die COVID-19 Epidemie, dass wir in geschwächten Körpern leben und dass unsere ungesunde Lebensweise, z.B. Diabetes, Übergewichtigkeit und all unsere geliebten Süchte, die wir als normal akzeptiert haben, unser Ende bedeuten kann.

In unserer modernen Welt sind wir weniger darauf ausgerichtet, Gesundheit zu fördern, sondern setzen den Fokus hauptsächlich darauf, Krankheiten zu beseitigen, zu stoppen oder zu vermeiden. Der technologische Fortschritt hat uns vergessen lassen, dass Medizin und Heilung ursprünglich nicht eine Männerdomäne sondern ganz wesentlich eine Expertise der Frauen und ihrer Lebensweise und Weisheiten war, in der es darum ging, so zu leben, dass das Leben unsere wahre Medizin ist und zwar nicht, um uns von etwas zu heilen, sondern um Entscheidungen zu treffen, die uns gesund halten.

Medizin und Heilung waren darauf ausgerichtet, die Verbindung zu uns selbst und zu unseren inneren grundlegenden Qualitäten des Frauseins zu fördern und den immer gegenwärtigen Zustand der inneren Stille als Anhaltspunkt in unseren Körpern wahrzunehmen und somit einen inneren Kompass zu haben, der Signale oder Anzeichen sendet und somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt Disharmonie im Körper bewusst erkennen lässt.

Diese grundlegende Wahrnehmung unseres Körpers und das harmonische Zusammenleben mit unserem Körper ist eine enorme Kraft in jeder Frau (und jedem Mann), die wir im Geiste der modernen Medizin nicht immer anerkennen wollen, sondern in der Regel übergehen, indem wir uns auf akademisch gelernte, medizinische Expertise beschränken und die innewohnende Weisheit des Körpers nicht nur ignorieren, sondern oft auch trivialisieren. „Die Weisheit der weisen Frauen“ wurde aus dem Körper verbannt und heute ist es normal, unser natürliches inneres Wissen zu vermeiden und zu missachten und unangenehme Symptome mit Pillen aller Art zum Schweigen zu bringen. Mit diesem Bewusstsein haben wir unseren inneren Kompass, der uns hilft, unangenehme und manchmal lebensbedrohliche Bedingungen, die in unserem Körper entstehen können, zu verstehen und mit diesen umzugehen, stillgelegt.

Die Stilllegung unseres inneren Kompasses hat dazu geführt, dass wir nun der Meinung sind, wenn wir erkranken, etwas sei in uns zerbrochen, kaputt gegangen oder zerstört.

In Wahrheit aber ist jeder Heilungsprozess ein Prozess der Rück-Verbindung zu uns selbst, mit unserem Innersten. Heilung hat somit nichts damit zu tun, Fehler oder Krankheiten zu beheben, zu verbessern oder auszubessern, da wir grundsätzlich in unserem innersten Wesen weder gebrochen oder beschädigt sind noch in irgendetwas versagt haben.

Unser Innerstes ist dieser Teil in uns, der für immer unberührt bleibt von all dem, was wir erleben. Wir können ihn ignorieren, abschalten und stilllegen, aber es ist eine unendliche Quelle, die nie versiegt und jederzeit wieder freigelegt werden kann und in ihrer vollen Fülle empor quillt und ins Fließen kommt.

Diese innere Quelle, unsere innere Essenz, die tief in uns ruht, ist unabhängig von den sprunghaften weltlichen Trends und steht im absoluten Gegensatz zu äußeren Anhaltspunkten wie Anerkennung und Erfolg in unseren geschlechterbedingten Rollen, der körperlichen Perfektion entsprechend vorherrschender Schönheitsideale oder der Abwesenheit von Krebs oder irgendeiner anderen lebensbedrohlichen Krankheit und wartet einfach nur darauf, wieder aktiviert zu werden – aktiviert durch die Bereitschaft der Frau, sie selbst zu sein und somit in der Lage, die Kraft ihrer unermesslichen Zartheit und der wirklichen Stärke in ihrer Verletzlichkeit und göttlichen Vollkommenheit hervorzubringen.

Diese unsere innere Essenz ist immer gegenwärtig und wird niemals, auch nicht von einem kranken Zustand des Körpers oder Verstandes getrübt. Die Rück-Verbindung der Frau mit ihrer innewohnenden, natürlichen Qualität und diese auch zu leben, ist von zentraler Bedeutung für ihre Gesundheit und Heilung. Somit verändert sich das bislang vorherrschende, einseitige Verständnis von Heilung als die Rückkehr zu einem Zustand ohne definierte Krankheit und richtet sich stattdessen auf das Wiederentdecken, das Zurückgewinnen und den Ausdruck dessen, wer sie, die Frau, wirklich ist.

Wirkliche Heilung ist somit, sich all das anzuschauen, was einem in die Quere kommt und verhindert, unsere Vollkommenheit mit Vertrauen und Autorität zu leben. Es geht darum, all das Zeug zu klären und aus dem Weg zu räumen, das ständig im Weg ist, diese Vollkommenheit zu leben; diese Ansammlung von Blockaden, Widerständen und Schwierigkeiten zu fühlen, sie sich einzugestehen und die Verantwortung für unseren Anteil daran zu erkennen, ohne uns dafür zu verurteilen und somit auf unserem weiteren Lebensweg andere Entscheidungen treffen zu können.

Wenn wir wirklich beginnen, von innen nach außen zu leben und unser Leben unsere beste Medizin werden lassen, haben wir eine grundsolide Basis und sind bestens ausgestattet, auf unseren Körper zu hören und all dem zu begegnen, was uns über den Weg läuft, ohne uns mit normalisierten körperlichen Missständen abzufinden und uns von Krankheit zerstören zu lassen oder mit dem Gefühl zu leben, versagt zu haben.


Referenzen

In der abendländischen Vergangenheit waren Frauen die Ärztinnen, Ratgeberinnen, Pflegerinnen, Pharmazeutinnen, Hebammen und Abtreiberinnen. Weise Frauen hießen sie im Volksmund. Die Vernichtung der Weisen Frauen und der weiblichen Expertise im Gesundheitsbereich ist historisch als Hexenverfolgung trivialisiert worden und die moderne Frau weiß wenig über die Kraft und Weisheit des weiblichen Körpers. Empfohlene Literatur: Deidre English, Barbara Ehrenreich (2001) Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. Englisches Original 1979; Spiegelartikel: Femina = die weniger Glauben hat “ https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13512627.html


Inspiriert von dem Englischen Artikel von Sara Williams: "Women and Healing – you are not broken", Women in Livingness Magazine, Edition 2, Seite 14-16

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