Die Sucht nach LIKES – die Leere, die bleibt

Teenager - soziale Netzwerke und Selbstwert

Die Sucht nach LIKES – die Leere, die bleibt

#NacktFotos sind weltweit zum gängigen Handelsobjekt geworden. Wenn diese Zeilen gedruckt werden, wird dieser Begriff wahrscheinlich schon als überholt angesehen und nicht mehr im gängigen sozialen Jargon benutzt werden; ebenso wie der Begriff ‚sexting’ [1] seinen Marktwert verlor, sobald er von den über 20-Jährigen übernommen wurde. Aber #NacktFotos (Selfies, auf denen man halb oder völlig nackt ist) werden wohl eine beliebte Währung bleiben, da immer mehr Mädchen ihre nackte Haut für likes in einem zunehmend gesättigten Instagram-Markt von kopflosen Körpern in aufreizender Unterwäsche handeln.

Die Mädchen auf den #NacktFotos sind nicht immer ‚enthauptete’ Akte, es gibt auch unglückliche Fälle von ‚handy-verdeckten’ Gesichtern, ein nicht zu vermeidender, unerfreulicher Zustand, der durch den Versuch, ein Selbstporträt von sich selbst im Spiegel zu machen, entsteht. In einigen Fällen ist dies Absicht – denn ein verdecktes Gesicht verbirgt die wahre Person –, aber meistens ist die Tatsache, nicht identifiziert zu werden, von wenig Belang, da zu viele likes auf dem Spiel stehen, und somit werden alle Register gezogen, um auf der sozialen Plattform zu punkten.

Während meiner Arbeit als Medienpädagogin im letzten Jahr habe ich von Hunderten von Jugendlichen gehört, was für sie im Bereich des Internets so alles vor sich geht. Und obwohl nicht jeder dem Zwang, gewagte Bilder auf Instagram zu posten, folgt, ist der zunehmende Druck der Online-Selbstdarstellung und die Entscheidung, wie viel vom eigenen Körper gezeigt wird, um die Anhängerzahl zu erhöhen, mittlerweile Bestandteil eines normalen Teenagerlebens geworden.

Einige sprechen sich entschieden gegen Veröffentlichungen von Körperportraits aus und entscheiden sich für kulinarische oder künstlerische Aufnahmen als Alternative, während andere durch stundenlange Photobooth [2] -Selfies ihren Schmollmund oder lasziven Blick perfektionieren, von denen es dann allerdings nur die ‚besten’ Bilder ins soziale Netz schaffen. Manche wiederum verbringen viel Zeit mit der minutiösen Erstellung ihrer eigenen Softporno-Wand, um sich an dem Gefühl der kurzlebigen Berühmtheit zu ergötzen, während etliche herausfinden werden, wie viele ‚zufällige’ Bikini-Schnappschüsse sie veröffentlichen können, bevor es zu offensichtlich ein Thema wird.

  • Auf Instagram wird der sogenannte Wert eines Bildes an der Zahl der likes – angeklickten Herzen – gemessen.

  • Wenn ein Foto nicht genug likes bekommt, sind unsichere Jugendliche schnell dabei, dieses aus dem Netz zu nehmen und es erneut zu versuchen.

  • Jedes Mädchen lernt schnell, was die Anzahl der Herzen (likes) höher schlagen lässt: Die nackte Haut.

Das wird früh gelernt und ohne ein Gefühl von Selbstwert wird sich dem angepasst – wie immer passt sich das Angebot der Nachfrage an. Einige Jugendliche erzählten mir, dass es mit Beginn der Sekundarstufe generell anfängt, dass ältere Jungs Mädchen unter Druck setzen, ihnen Nacktaufnahmen zu schicken. Interessanterweise scheinen alle Jugendlichen die Leidensgeschichte eines Mädchens zu kennen, das in seiner Naivität und unter dem sozialen Druck solche Fotos gesendet hat und im Endeffekt beschämt und gedemütigt wurde, sogar bis hin zu einem notwendigen Schulwechsel, völlig zerstörter Lebensverhältnisse und Selbstmord als Ausweg aus einer 24/7 online Entwürdigung und Verfolgung.

Diese Beispiele zeigen ein grundlegendes Problem: die Objektivierung von Frauen durch Männer, hier im Besonderen die Objektivierung von Teenager-Mädchen durch Teenager-Jungen.

Wenn wir aber bereit sind, hinter die Kulissen zu schauen, können wir die wahre Dimension eines stereotypen Rollenspiels erkennen, in dem beide Geschlechter eine treibende Kraft im Erfüllen der vorgefertigten Ideale sind.

Viele der Mädchen auf Instagram stehen nicht unter einem direkten Druck, diese Bilder zu veröffentlichen. Sie gehen ein kalkuliertes Risiko ein, um sich eine Masse von likes, Verehrern und Bewunderern in ihrer sozialen Fan-Gemeinde aufzubauen.

Sie gewinnen Dutzende von 'Herzen' – oder zumindest eine billige Pixel-Version von ihnen – aber warum geben sie sich mit diesem virtuellen Ersatz zufrieden?

Dies ist eine Frage, die eine Reihe von Teenager–Jungs auch gefragt haben. Auf einem Forum, in dem Jugendliche aufgefordert wurden, über ihre Erfahrungen mit den sozialen Netzwerken zu sprechen, fragten mich junge Männer folgendes: "Warum machen die Mädchen das? Warum veröffentlichen sie #NacktFotos online oder versenden die? Sie wissen doch, was daraufhin passieren kann..." Die Jungs schauten mich dabei mit einer Mischung aus Sorge und Ungläubigkeit an und es fiel mir auf, dass sie die Anmut und die Würde der Mädchen durchaus sehen konnten, viel deutlicher als die Mädchen selbst.

Jungs und junge Männer, die ihre natürliche Rücksichtnahme und Achtung für Mädchen und Frauen ausdrücken, sind gar nicht so selten wie wir glauben, und die Objektivierung von Frauen ist ihnen auch nicht einfach angeboren. Filmemacher Jonathan Baldwin stellte fest: "Von einem frühen Alter an wird den Jungs vermittelt, was sie als sexy zu empfinden haben. Schon in der Orientierungsstufe werden Jungs verspottet, wenn sie sich nicht für Pornos und alles was damit einhergeht, interessieren. Ihnen wird das Gefühl gegeben, dass dann etwas falsch ist mit ihnen als Mann."

Laut einer Studie von 2006 (Flemming et al. 2006 ¡) haben 93% der Jungs im Alter von 13-16 Jahren bereits online Pornographie konsumiert. Dies zeigt, dass der soziale Druck auf Männer, bedingungslose Porno-Konsumenten zu werden, sehr wohl besteht – aber der Druck auf die Jungs, dies anzunehmen, resultiert nicht nur aus dem Offensichtlichen.

Die Pädagogin Kristy Wood stellt fest, dass "in den vorpubertären Jahren manchmal die Mädchen die ersten sind, die diese Art von Interaktionen durch das Senden von entblößenden Bildern von sich selbst durch Instagram-Nachrichten initiieren. Oft wissen die Jungs gar nicht, damit umzugehen. "

Sie fährt fort: "Sie sind zuerst geschockt und fühlen sich nicht in der Lage, darauf zu antworten."

Aber sie lernen schnell, sich mit dem, was sie wirklich empfinden, zurückzuhalten, wenn sie dem Druck aus dem Freundeskreis, sich anders zu verhalten, ausgesetzt sind. „Viele nehmen durch den Gruppenzwang diese Verhaltensweisen an. Peer-Gruppenzwang [3] , Medien, Spiele und Filme – dies alles bestärkt Jungs darin, Mädchen zu objektivieren. Es wird ihnen gar kein anderer Weg angeboten."

Von klein auf werden Mädchen und Jungen auf die vorgefertigten Formen ihrer geschlechtsspezifischen Rollen konditioniert. Und die ‚Pop-Porno-Kultur’, welche die Medien und sozialen Netzwerke mit ihren geschlechtsspezifischen Stereotypen durchdrungen hat, hat eindeutige Spuren hinterlassen. Das steht unverkennbar an der virtuellen Pinnwand geschrieben, oder in diesem Falle gepostet.

Die Ironie dabei ist, dass dieses Rollenverhalten, das sowohl Männern als auch Frauen verkauft wird, im starken Kontrast steht zu der ursprünglichen Fürsorglichkeit, des Feingefühls und des Respekts, das die Jungen und Mädchen von Natur aus füreinander empfinden, bevor sie diese Rollen annehmen.

Doch sobald wir uns auf diese uns permanent reflektierten Verhaltensmuster eingelassen haben, fangen wir an, diese ursprüngliche und grundlegende Art, miteinander in Beziehung zu treten, mit Imitaten zu ersetzen:

  • Respekt bekommt plötzlich ein Kerl, der dir sagt, dass du sexuellen Marktwert hast.
  • Ein anonymer und dir folgender Facebook-‚Freund’ wird zur einschätzenden Instanz deines Wertes.
  • Die Anzahl der likes auf einem Foto von dir im Bikini wird zum Maß deiner Anziehungskraft und deines Reizes – und nicht deiner Liebenswürdigkeit – für das andere Geschlecht.

Aber ein like hat das gleiche Verhältnis zu Liebe wie ein billiges Imitat zum Original. Oder anders gesagt: Liebe ist das eigentliche Ziel und ein like nur ein billiger Ersatz. An Stelle von liebevollen Handlungen gibt es eine Ausgleichszahlung, doch die virtuelle Währung und die damit verbundene Aufmerksamkeit bewirkt keine wirkliche Erfüllung – weder in den jungen Frauen noch in den jungen Männern, wie eines der 16-jährigen Mädchen ohne Zurückhaltung zugab:

"Es ist egal wie viele likes ein Foto bekommt, es ist nie genug, um sich glücklich und zufrieden mit sich selbst zu fühlen."

Aber wenn nun beide Geschlechter durch diese synthetischen Interaktionen in den sozialen Netzwerken letztlich unbefriedigt bleiben, während sie ihre geschlechtsspezifischen Rollen auf der Grundlage von einem falschen Satz von Parametern spielen, wer von den beiden wird es zuerst benennen?

Um es mit den Worten von Natalie Benhayon zu sagen: "Wir bestimmen die Bedeutung von Selbstwert."

Wie wir uns entscheiden, unseren Wert zu messen, liegt doch tatsächlich mehr in unserer Hand – und somit in unseren elektronischen Geräten – als wir wahrscheinlich gern zugeben möchten.

Werden wir als Frauen schweigend dabei zusehen, wie eine weitere Generation von Mädchen hinters Licht geführt wird, indem sie ihren Wert aufgrund von ‚Herzen' (likes) für nackte Haut und Schmollmund messen? Oder werden wir anfangen, ein Selbstwertgefühl zu leben, das auf seiner wahren Bedeutung basiert?

In der Realität gibt es derzeit nur wenige Frauen, die uns vorleben, was es heißt, sich selbst zu würdigen, sich in tiefster Wertschätzung zu halten und zu achten. Es ist immer noch eine Seltenheit, einer Frau zu begegnen, die ihre wahre Schönheit, ihren Sexappeal und ihren Wert erkennt, ohne von der Bestätigung von anderen abhängig zu sein.

Die Art und Weise, wie wir uns Männern aller Altersgruppen gegenüber verhalten, ist ein klarer Beweis davon.

Natürlich können wir es anderen in die Schuhe schieben. Wir können sagen, dass die Männer an allem Schuld sind, weil sie uns Frauen ja zum Objekt machen, und dass dies der Grund ist, warum junge Frauen diese stereotypisierten und sexualisierten Rollen, für die sie mit männlicher Aufmerksamkeit belohnt werden, spielen. Aber solche Schuldzuweisungen werden diese ‚Rollenspiele’ nicht verändern. Sie sind auch völlig entmutigend und entwürdigend, machen Frauen zum Opfer der Handlungen anderer und negieren damit jegliche selbstbestimmte Handlungskompetenz.

Die Würde, Empfindsamkeit, den Respekt, die Anmut, Feinheit und Achtsamkeit, die wir als Frauen für uns selbst wählen, gibt den Ton an für die Beziehungen, die wir mit Männern haben, sei es in den sozialen Netzwerken oder in Persona.

Unsere allererste Beziehung ist die mit unserem eigenen Körper. Diese wird dann die Grundlage für unsere Beziehungen mit allen anderen Körpern.

Wir bestimmen die Bedeutung von Selbstwert. Die Frage ist, ob wir als Frauen bereit sind, die Verantwortung dafür zu übernehmen und selbstbestimmt gesellschaftliche Standards zu setzen, die körperliche Integrität an erste Stelle stellen.

Dafür ist es wesentlich, das Zusammenspiel von allen Faktoren zu verstehen und damit die Tatsache, dass Missachtung, Missbrauch und Gewalt keine isolierten Erscheinungen sind, sondern das Endergebnis einer Lebensweise in der lieblose Umgangsweisen, mangelnder Respekt und fehlende Würde zum gängigen Standard geworden sind.

Wir müssen Wege öffnen, die Mädchen und Frauen sowie Männer und Jungs darin unterstützen, Standards zu setzen, die von einer gelebten Qualität kommen, die körperliche Integrität und einen liebevollen Umgang mit sich selbst und dadurch mit anderen als tagtäglichen gesellschaftlichen Lebensstandard versteht.

Wenn wir einen generell reduzierten Standard als normal akzeptieren, sind die extremen Formen nur Auswucherungen des normalisierten Missbrauchs und wir leben in einem postkausalen feedback loop der Reaktion und Verwaltung dessen, was wir zu unserer grundlegenden Lebensform gemacht haben.

Wenn wir jedoch individuell und kollektiv bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Liebe zu unserer grundlegenden Lebensform zu machen, kann das die jüngere Generation inspirieren, statt sich mit likes zu bewerten wahre Liebe in ihr Leben zu bringen.



  • [1]

    sexting: die private Verbreitung sexueller Texte oder erotischen Bildmaterials des eigenen Körpers über SMS/ MMS durch Mobiltelefone. Sexting ist ein Kunstwort und setzt sich aus “sex” und “texting” (engl: SMS schreiben) zusammen.

  • [2]

    Photobooth ist ein Computer-eigenes Foto- und Video-Programm mit Effekten.

  • [3]

    Peer Gruppenzwang oder Peer-Druck kommt aus dem Englischen Sprachgebrauch peer group or peer pressure und beschreibt den Einfluss, den eine Peer-Gruppe, also eine Gruppe von Gleichrangigen oder Ebenbürtigen auf den Einzelnen hat in dem sie andere ermutigt, ihre Einstellungen, Werte oder Verhaltensweisen zu ändern, um den Gruppen-Normen zu entsprechen.


Referenzen: Fleming, M.J., Greentree, S., Cocotti-Muller, D., Elias, K.A. & Morrison, S. (2006). Safety in Cyberspace: Adolescents’ safety and exposure online. Youth and Society, 38: 135–154.


Frei übersetzt aus dem Englischen. Originalartikel von Rebecca Asquith: "Like, like, like... Where is the Love?", Women in Livingness Magazine, Edition 2, Seite 10-12

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