Die Frau als Ganzheit, oder nur ihr Körper als Objekt?

Neulich habe ich einen Artikel von einer Frau gelesen, in dem sie die Aussage machte, dass es ein feministischer, starker und kraftvoller Akt einer sehr bekannten weiblichen Prominenten war, ‘oben ohne’ zu posieren – einfach weil sie kleine Brüste hatte – und dies deshalb eine starke und mutige Sache sei.

Feministisch? Stark? Kraftvoll? Selbstbestimmt? Wirklich…?

Ist es das, was Frauen wirklich tief in sich fühlen, was eine selbstbestimmte und kraftvolle Frau ausmacht? Oben ohne zu posieren und fotografiert zu werden, damit die ganze Welt ihre Brüste sehen kann?

Ernsthaft?

Ist es wirklich das, was wir jungen Mädchen und Frauen vermitteln wollen?!

Wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist dies nicht die wahre Botschaft einer selbstbewussten und starken Frau, und es ist sicherlich auch nicht die wahre Stärke, die wir als Frauen in der Gesellschaft suchen. Vielmehr ist es ein Zeichen unserer Zeit, dass Frauen sich stattdessen den Vorstellungen der Gesellschaft beugen und sich kleiner machen, als sie tatsächlich sind.

Wir sehen Männer nicht öffentlich dargestellt mit ihren kleinen Penissen oder Hoden entblößt in „selbstbewusster“ Haltung, um öffentlich ihren Selbstwert, ihre Kraft und ihre Selbstsicherheit zu beteuern, oder? Nicht im Traum würden wir darüber nachdenken, so etwas unter diesem Blickwinkel zu diskutieren.

Warum also diese andere Sichtweise, wenn es um den Frauenkörper geht?

So lächerlich es auch klingen mag, aber überlegen Sie mal, wie wir reagieren würden, wenn ein ‚bedeutender’ männlicher Vorstandsvorsitzender oder eine bekannte männliche Führungsperson die Notwendigkeit sähe, sich halb- oder komplett nackt sexuell oder wie auch immer darzustellen, um sein Selbstbewusstsein öffentlich oder für sich persönlich zu bestätigen? Würde man ihm dieses Verhalten als Stärke auslegen? Wir würden wohl niemals von einem Mann erwarten, seine Stärke auf diese Art zu bestätigen.

Wie auch immer, diese Prominente ist nicht allein – sie hat nur das öffentlich getan und ohne Zweifel mit Profit, was viele Frauen und insbesondere junge Mädchen immer selbstverständlicher tagtäglich in den sozialen Netzwerken tun. Auf Instagram, Tumble, Pinterest etc. posten Frauen die in Pose gestellten, präzise konstruierten und manchmal digital veränderten Bilder ihrer nackten oder halbnackten Körper und machen sich damit nicht weniger zum Objekt – und das alles für die scheinbar höchste aller Währungen der viel verheißenden ‚likes’?

Die kürzlich von „Techinfographics“ veröffentlichten Fakten zeigen auf, dass täglich eine Million Selfies gemacht werden. Diese Zahl könnte möglicherweise sogar höher sein. Von besonderem Interesse ist jedoch, dass 30% der Leute zugeben, ihre Selfies zu modifizieren. Und während diese Zahl nur diejenigen erfasst, die dies „zugeben“, schließt sie nicht mit ein, dass wir ja bereits wissen, wie wir uns in einem Selfie platzieren müssen, damit der Körper – oder die ausgesuchten Körperteile – so „gut aussehend“ positioniert sind, dass sie den Effekt haben, die meisten ‚likes’ zu bekommen.

Diese weibliche Prominente wird zitiert mit: „Es macht mir nichts aus, meine Titten zu zeigen, weil sie so klein sind – Leute sind nicht wirklich daran interessiert.“ Und sie wird mit dieser Aussage nicht alleine sein.

Zeigt diese Aussage nicht, dass wir es als Frau zugelassen haben, den Standard zu senken und damit unseren Wert, den unserer Brüste und unserer Körper, zu missachten?

Zeigt es uns nicht eine große Not an, die nach wahrer Veränderung ruft?

Und diese Veränderung wird von den Frauen kommen.

Starten wir eine neue Denkweise mit der folgenden Frage:

Aufgrund welcher Kriterien entscheiden wir über unseren ‚Wert’ und über den ‚Wert’ unserer Brüste?

Aufgrund der öffentlichen Meinung? Aufgrund von 'likes'? Oder haben wir unsere eigenen Kriterien?

Bestimmt die öffentliche Meinung den Wert von uns Frauen, indem sie die Form unserer Brüste und unseres Körper bewertet? Ist es die Größe oder Form unserer Brüste, die den Wert unserer Brüste bestimmen, oder ist es der Wert der Frau, zu der die Brüste gehören?

Und ist Kleidung tragen so verkehrt...?

Überall auf Plakaten sehen wir junge Frauen halbnackt, manchmal auch komplett nackt, aber aus einem Winkel fotografiert, der ‚bestimmte Bereiche’ nicht zeigt. Wo wir auch hinschauen werden junge Frauen sexualisiert, um Mode oder Düfte anzupreisen. Auf großen Plakatwänden bewerben nackte, aneinander geschmiegte junge Frauen Kosmetikprodukte. Männer werden nie aneinander geschmiegt und einladend in die Kamera lächelnd abgebildet, um Pflegeprodukte oder Düfte oder irgendetwas anderes zu verkaufen. Niemals... Tatsächlich sehen wir Männer in den öffentlichen Medien normalerweise voll angezogen, in kraftvoller Pose, selbstbewusst und stark dargestellt.

Darf ich fragen, wo man im richtigen Leben Frauen sieht, die sich nackt aneinander schmiegen? In Vorstandsetagen? In Krankenhausstationen? In Klassenräumen....?

Was ist es, das uns denken lässt, es wäre sexy oder stark, wenn eine Frau öffentlich ‚oben ohne’ oder nackt gesehen wird? Und wovon befreien wir uns wirklich, wenn wir Kampagnen wie #freethenipple ins Leben rufen? Von unserer Würde?

Wir sind bei weitem mehr als unser Körper. Wie kommt es, dass wir so unter Druck stehen, unsere Körper zeigen zu müssen und als ‚Körper’ gesehen zu werden, und nicht als die volle Frau, die wir sind? Ist dieses ganze Gerede von ‚Selbstbestimmung’ und ‚Stärke’ der Frauen, die sich trauen, sich nackt in der Öffentlichkeit darzustellen, nicht ein weiterer Trick, um unseren wahren Wert und unsere Schönheit zu verstecken?

Natürlich sollte jede Frau über ihren Körper frei bestimmen, aber ist es wirklich, wahrhaftig und zutiefst achtend, den nackten Frauenkörper – oder Teile davon – öffentlich zur allgemeinen Unterhaltung zur Schau zu stellen?

Ist dies eine wahre Reflexion von Selbstwert?

Oder ist dieses ‚oben ohne’ oder nackt gesehen zu werden und sich der öffentlichen Aufmerksamkeit, der Begutachtung, dem Spott, dem Vergnügen, der Bestätigung oder auch dem Missfallen anderer zu unterwerfen, einfach ein sich dem gesellschaftlichen Druck Beugen und ein Herabsetzen des Status quo?

Was kommt als nächstes, wenn die Messlatte noch weiter gesenkt wird – Schamlippen-Fotografien in Modezeitschriften? Oder vielleicht überhaupt keine Kleidung mehr im Job, um zu ‚beweisen’, dass wir uns mit unserer Sexualität und unserem Körper am Arbeitsplatz wohl fühlen? Wo ziehen wir die Grenze, und haben wir überhaupt eine?

Ich bin nicht prüde, aber ich finde den Druck auf Frauen, sich öffentlich nackt darzustellen und eine bestimmte Körperform haben zu müssen, bedenklich. Dies ehrt uns Frauen nicht in unserer Vollkommenheit, die wir sind, und die vermehrte Darstellung von nackten Frauen ist in Wahrheit KEIN selbststärkender Akt für Frauen. Diese Bilder bestärken Frauen nicht darin zu sein, wer sie sind und dies zu zelebrieren. Im Gegenteil: Sie bestimmen den Wert der Frau anhand ihres Körpers und es ist ein Verkaufen des Frauenkörpers als leichte und billige Ware für die Gesellschaft.

Wenn man den Fokus auf den Körper der Frau legt, ob nackt oder wie auch immer, oder auf ihre Figur richtet, dann macht man den Frauenkörper zu einer frei verfügbaren Ware und füttert die gesellschaftliche Erwartung, dass es für eine Frau normal ist, sich zum Objekt zu machen oder als „Objekt der Begierde“ betrachtet zu werden und nicht als Frau in ihrer Ganzheit. Wenn man ein Bild in der Gesellschaft kreiert, welches den Körper der Frau anpreist oder – noch schlimmer – Teile ihres Körpers, dann geht es nicht darum, die Frau in ihrem ganzen Sein zu sehen, sondern man reduziert sie auf ihren Körper, man sieht sie nicht in ihrer Gesamtheit und sie wird zum Objekt, welches „das Ding“ ist, das man haben will... Oder eben nicht...

Objekten wird nicht der gleiche Respekt gezollt wie Menschen, Objekte sind Besitztum, werden als weniger betrachtet als die Menschen, die sie besitzen und sind daher Empfänger der Launen des „Besitzers“ oder des potentiellen „Käufers“, und werden als „weniger wertvoll“ behandelt.

Wenn wir unseren Körper oder Teile unseres Körpers öffentlich als Objekte ausstellen und somit ihren und dadurch unseren Wert mindern, sollten wir uns mal überlegen, welchen Wert wir dann in den Augen anderer haben.

Wie wir wissen, wird öffentliches Eigentum gewöhnlich nicht geachtet – es wird oft beschmiert und mit immenser Respekt- und Achtlosigkeit behandelt. Wird man Frauen wirklich als wertvoller sehen als gemeines, öffentliches Eigentum, wenn sie sich und ihre Körper einmal zu öffentlichem Eigentum gemacht haben? Diese weibliche Prominente, die mit ihren „kleinen Brüsten“ posierte, wird nun nicht als die wert-volle Frau gesehen, die sie ist, sondern als „diese berühmte Frau, die ihre kleinen Brüste in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt hat“. Sie ist nun "gebrandmarkt". Sie ist jetzt bekannt für ihre Brüste in all ihren anatomischen Einzelheiten, aber nicht als sie selbst in ihrer Ganzheit. Nicht sie, sondern die Öffentlichkeit besitzt nun ihren Körper. Sie hat ihn verkauft – und damit ihren Selbstwert.

Es gibt keinen Grund, nackt für die Öffentlichkeit zu posieren, wenn man kleine Brüste hat – und auch nicht, wenn man große Brüste hat. Es beweist rein gar nichts. Es trägt nichts zu der Stärke oder Sexyness einer Person bei, denn unsere Power ist weder vermindert bei kleinen Brüsten noch gesteigert bei großen.

Es ist weder ein Verbrechen noch ein Defizit, als Frau kleine Brüste zu haben und es macht eine Frau sicherlich nicht weniger begehrenswert, wenn sie kleine Brüste hat, noch wirklich begehrenswerter, wenn sie große Brüste hat.

Die wahre Attraktivität einer Frau liegt in der Essenz, wer sie ist.

Es ist nichts falsch daran, Würde zu haben.

Würde ist sexy.


„Wahre Stärke ist, wenn eine Frau bereit ist, nein zu sagen und sich nicht an die derzeitigen krankhaften Trends anzupassen, sie aber bereit ist, beständig in sich selbst zu sein und selbstbewusst und kraftvoll gegen den Strom zu schwimmen.“


Die wahre Stärke einer Frau liegt in der Entscheidung, sich voll zu würdigen, ohne sich den gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüchen, die sie auf einen Körper als Objekt reduzieren wollen, zu beugen.

Wahrer Selbstwert ist, genügend Mut zu haben, unseren Körper mit äußerstem Respekt und Liebe zu behandeln.

Es ist bestärkend und kraftvoll, Kleidung zu tragen, die reflektiert, wer wir sind – Kleidung, in der wir uns wohlfühlen und die wir mit Freude tragen.

Es ist eine starke Aussage als Frau, das Selbstbewusstsein zu haben, von Leuten einzufordern, in ihrer Ganzheit gesehen zu werden.

Stärke und wahrhaftige Weiblichkeit ist, das Selbstbewusstsein zu haben, Menschen zu treffen – vollständig bekleidet und in der ganzen Wertschätzung dessen, wer wir sind und was wir als Frau bringen – und sich nicht dem gesellschaftlichen Druck zu beugen, sich seine Klamotten vom Leib zu reißen, um als ‚Körper’ gesehen zu werden.

Es ist wahre Stärke, in Gänze zu sein, wer wir sind, in all unseren Engagements, uns niemals kleiner zu machen für andere, uns niemals zurückzuhalten, damit andere sich besser fühlen, uns wertzuschätzen mit jedem Schritt.

DAS ist ein wahrer Hingucker.


Frei übersetzt aus dem Englischen. Originalartikel von Maxine Szramka: "On the Pulse", Women in Livingness Magazine, Edition 2, Seite 32-37

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  • Foto: Iris Pohl, Photographer and Videographer