Der Perfekte Mann – Alles nur Ablenkung?

Der perfekte Mann. Gibt es dieses ideale Wesen, und falls ja, würden wir ihn überhaupt erkennen, wenn er vor uns stünde? Was macht einen Mann perfekt?

Kürzlich habe ich einer Reihe von Männern eine sehr ähnliche Frage gestellt, und aus den Antworten wurde schnell deutlich, dass zwar alle ihre persönlichen Ansichten zum Ausdruck brachten, was das Mann-Sein ausmacht, sich dabei aber deutlich an dem orientierten, was die Gesellschaft von einem Mann erwartet.

Nachdem wir das Thema gemeinsam weiter diskutiert hatten, war ein Konsens, dass das, was wir als wahr fühlen und tief in uns drin wissen, sich von dem unterschiedet, was wir auf solche Fragen antworten, sprich nach außen kommunizieren. Und es kristallisierte sich ein weiterer Faktor heraus, nämlich, dass wir unser Leben eher an dem, was die Gesellschaft von uns erwartet ausrichten, als an dem was sich tief in uns wahr anfühlt.

Warum übernehmen oder akzeptieren wir, was die Gesellschaft vorgibt, ohne zuerst innerlich zu prüfen, ob es für uns überhaupt wahr ist?

Wenn wir unsere Wahrheit nicht ausdrücken und leben, wie wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie wir unser Leben leben? Welche ganz konkreten Auswirkungen hat das auf uns persönlich und die Menschen um uns herum? Inwiefern tragen wir dadurch vielleicht sogar bei, etwas zu einer gesellschaftlichen Norm werden zu lassen, was sich für uns – und wahrscheinlich für das Gros aller Männer – nicht wirklich wahr und nach uns anfühlt.

Warum haben wir als Männer Angst davor, uns authentisch auszudrücken, wenn wir aufeinander treffen? Warum neigen wir dazu, wenn wir „nur unter Männern“ sind, nur wenige Themen anzusprechen oder das Thema zu wechseln, sobald mehr als nur Oberflächliches angesprochen wird? Solange wir über Arbeit, Sport, das Zeitgeschehen oder die Hektik des Lebens sprechen, scheint alles in Ordnung, aber wir wagen es selten, davon abzuweichen. Fühlen wir uns mit den eben genannten Themen sicher, weil wir eine Bandbreite von Standardantworten parat haben, mit denen wir nicht Gefahr laufen, uns zu weit aus dem Fenster zu lehnen?

Versuchen wir mit unseren Antworten die vermeintliche Meinung der Mehrheit widerzugeben, um nicht unangenehm aufzufallen?

Oder sind wir eigentlich ganz tief in uns drin vor allem unsicher und haben vielleicht sogar Angst, dass wir uns lächerlich machen oder von unseren Freunden ausgegrenzt werden, wenn wir anfangen, mehr als das Oberflächliche zu erforschen? Ist die eigentliche Angst vielleicht, dass das Netz an vermeintlicher Sicherheit (sicherer Job, Statussymbole, funktionierende Familie), was wir uns sorgsam geknüpft und hart erarbeitet haben, reißen könnte. Wollen wir vermeiden, als unmännlich verunglimpft zu werden, wenn wir zeigen und kommunizieren, was wirklich in uns los ist. Haben wir Angst, dass wir die Kontrolle verlieren könnten?

Warum haben wir Angst, miteinander tiefer zu gehen?

Solange wir unser Leben auf eine Weise führen, die andere unter der jovialen Oberfläche auf Distanz hält und in Beziehungen eher nur an der Oberfläche kratzt, müssen wir uns Ablenkungen suchen, um das tief in uns drin nagende Gefühl loszuwerden, dass irgendetwas nicht ganz rund ist. Wenn wir so leben, gibt es – mehr oder weniger offensichtlich – eine innere Unruhe, die uns antreibt, weil wir uns tief in uns drin als nicht genug fühlen und außerhalb von uns nach Bestätigung und Anerkennung sehnen, diese aber nicht zufriedenstellend finden können, in dem was wir machen.

Wir werden zum „Macher“, um Erfolg zu haben und verdrehen dabei oft Dinge, die uns eigentlich gut tun. Statt unseren Körper mit Sport einfach nur fit zu halten, peitschen wir uns durchs Fitnessstudio, um das Beste aus dem was unsere Genetik vorgibt herauszuholen – aus Angst nicht gut genug auszusehen. Statt wirklich miteinander in Kontakt zu gehen und das zu besprechen, was uns bewegt, bringen uns Alkohol und die daraus folgende innere Gedämpftheit durch Familienfeiern und Abende mit Freunden, ohne wirklich auf das einzugehen, was wir tief in uns drin spüren und als wahr empfinden. Oft lassen wir es an der Oberfläche sogar so aussehen, als würden wir uns aufeinander einlassen, gehen zusammen essen, oder schauen zusammen Sport, oder machen sogar gemeinsam Sport. Aber wie viel davon ist, wenn wir ganz ehrlich sind, etwas, das wir machen, weil wir denken, dass wir es müssten bzw. weil wir dazugehören möchten?

Wie genau wissen wir, was wirklich tief im Inneren unserer besten Kumpel/Freunde los ist – und haben wir jemals mit ihm darüber ganz offen gesprochen? Wie ehrlich reden wir über die Teile unseres Lebens, die nicht wie am Schnürchen laufen, die uns bewegen, oder uns Angst machen? Wie ehrlich sind wir miteinander und zu uns selbst? Wovon lenken wir uns ab?

Kann es sein, dass uns alle Formen der Ablenkung vor allem als Gesprächsstoff dienen, um Gesprächszeiten zu füllen, wenn wir zusammenkommen, uns aber eigentlich davon abhalten, mehr zu fühlen und über uns zu verstehen und einander auf einer tieferen Ebene zu begegnen? Bildet die Ablenkung eine Schutzschicht, die uns abschirmt und in Wahrheit sogar verhindert, dass ein Gespräch entsteht, das letztlich unsere Verletzlichkeit aufdecken könnte?

Oder ist das alles nur eine Maske für das wirkliche Problem, und wenn wir ein wenig tiefer grüben, würden wir feststellen, dass das eigentliche Problem die Angst davor ist, dass unsere wahre sensitive Natur zurückgewiesen werden könnte?

Indem wir nicht leben, wer wir wirklich sind und nicht ausdrücken, was wir wirklich fühlen, entehren wir unser wahres Wesen, diesen tief in uns liegenden Teil von uns, den wir nur sehr selten jemanden sehen lassen, weil wir glauben, ihn schützen zu müssen.

Was können wir also verändern, um nicht mehr das Gefühl zu haben, uns vor der Welt verstecken oder schützen zu müssen, wenn wir unsere Sensitivität zeigen?

Der Anfang könnte sein, dass wir uns mehr um uns selbst kümmern und das auf eine ganz schlichte Art und Weise, indem wir z.B. genauer darauf achten, was wir essen, trinken, uns ansehen, wie wir uns bewegen oder, wie wir uns jeden Abend auf das zu Bett gehen vorbereiten.

Das mag jetzt zu simpel oder absurd klingen, aber es sind diese vermeintlich kleinen Dinge, die sich entscheidend darauf auswirken, wie wir uns körperlich und geistig fühlen. Sie tragen entweder dazu bei, dass wir die vertrauten Schutzmauern aufbauen und aufrechterhalten oder dazu, dass wir offener sind und mit anderen von einer neuen Basis aus in Kontakt treten können.

Unser Auto betanken wir mit dem passenden Kraftstoff, lassen es regelmäßig waschen und warten, stellen es abends in die Garage und fahren es regelmäßig, damit es bestmöglich seinen Dienst tun kann und uns lange erhalten bleibt.

Was würde passieren, wenn wir unserem Körper die gleiche Aufmerksamkeit schenken? Welche Auswirkungen hätte das auf unser Leben, vor allem, wenn es um die nicht sichtbaren Dinge geht, die sich auf psychischer Ebene abspielen?

Eine gesunde, für uns passende Ernährung, das passende Maß an Schlaf und regelmäßig Bewegung, die unseren Körper nicht über seine Grenzen bringt, machen einen massiven Unterschied – für uns und für unser Umfeld.

„Sei der Mann, der du zu sein weißt, und nicht der Mann, den die Gesellschaft dir vorgegeben hat zu sein.“

Serge Benhayon Esoteric Teachings & Revelations – Band I, 1. Auflage 2011, S.553
(Aus dem Englischen übersetzt)

Was wäre, wenn wir uns heute dafür entschieden, unseren Körper mehr zu achten und liebevollere Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die uns zugutekommen - ohne uns darüber Gedanken zu machen, was die anderen um uns herum darüber denken könnten? Was wäre, wenn wir anfingen, mit unseren täglichen Entscheidungen anders Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, die uns bereichern? Könnte sich uns so eine Welt eröffnen und wir in die Lage versetzt sein, mit unseren Familien, Partnern und Freunden auf eine tiefere, ehrlichere und sensitivere Weise in Kontakt zu sein?

Wenn wir unsere Beziehungen – vor allem die Beziehung zu uns selbst - auf Wesentliches und Wahres statt auf Oberflächliches ausrichten, indem wir uns selbst auf das ausrichten, was wir in unserem Inneren als wahr empfinden, schaffen wir eine grundlegende Stabilität und innere Ruhe in unserem Leben. Von diesem Platz aus gibt es irgendwann keinen Bedarf und kein Verlangen mehr, uns an dem auszurichten, was die gesellschaftliche Norm uns vorgibt. Wir schaffen eine Basis, um unser Leben auf eine Weise zu leben, die dem, was wir wirklich sind, zutiefst gerecht wird.

Diesen Weg können nur wir selbst gehen. Es liegt an uns die Entscheidungen über unser Leben nicht anderen Menschen oder Normen zu überlassen und unseren Blick von einem unser Umfeld kontrollierenden Radar zurück zu unserem inneren Kompass zu wenden.

Wenn wir uns um uns selbst kümmern, uns freier ausdrücken und so auf eine ganz andere Weise beginnen Verantwortung zu übernehmen, wird sich unser Leben von Grund auf verändern. Das wir uns im Zuge dessen leichter, vitaler und fröhlicher fühlen, ist nahezu unvermeidbar. Wir lernen unser Inneres kennen, und von da an kann uns nichts von außen mehr etwas anhaben. Ein paar Kratzer und Beulen an der Oberfläche mag es immer noch gelegentlich geben, aber der innere Kern, unsere Essenz ist unantastbar.


Frei übersetzt aus dem Englischen. Originalartikel: Who is the man?

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  • Foto: Iris Pohl, Photographer and Videographer