Männer – sind wir zum Scheitern verurteilt?
Männer – sind wir zum Scheitern verurteilt?
Was macht einen echten Mann aus? Wenn wir uns umschauen, scheint das Ziel klar definiert. Der echte Mann:
- hat einen durchtrainierten und gepflegten Körper
- ist die starke Schulter zum Anlehnen,
- ist der Macher, der jede Situation mit Leichtigkeit beherrscht
- darf gern ein sexy Tattoo haben
- fährt das passende Auto
- ist erfolgreich im Job
- ist der Ernährer und Versorger mit üppig gefülltem Bankkonto
- hat ein schickes Haus, Loft oder eine Penthouse-Wohnung
- ist Gentleman, Handwerker, Model, Verführer und treuer Familienvater in Personalunion
- liest jeden Wunsch von den Augen ab und erfüllt ihn umgehend
Vor allem aber ist er eine Illusion!
Eine Illusion, die uns sehr effizient als Realität verkauft wird. Eine Illusion, die, wenn wir sie für bare Münze nehmen, nur dazu führen kann, dass wir permanent das Gefühl haben zu versagen.
Das Gefühl zu versagen und uns verbiegen zu müssen, fängt schon früh an. Schon als Jungen wird uns meist beigebracht, härter zu werden, um ein richtiger Mann zu sein. Wer von uns hat nicht als Kind „Stell Dich nicht so an!“ oder „Jungs heulen nicht!“ gesagt bekommen, wenn er eigentlich einfach nur Verständnis und Liebe gebraucht hätte?
Was das Abzielen auf den perfekten Mann nach Standardschema vor allem bewirkt ist, dass wir schon früh anfangen Mauern um uns aufzubauen. Mauern hinter denen wir uns verstecken und das, was uns tief drin wirklich bewegt, niemanden mehr sehen lassen und verdrängen.
Warum geben wir uns als Männer gern jovial und stolz darauf, dass wir angeblich die "Harten" und “Fähigen“ sind – wohlwissend, dass wir dafür aufgegeben haben, über das zu sprechen, was uns bewegt, belastet, schmerzt oder erfüllt?
Oft könnten wir sogar nicht einmal mehr sagen, was uns wirklich erfüllt, und bestenfalls nur noch in raren Momenten von tiefer Ehrlichkeit konstatieren, dass es all die Punkte von der Liste am Eingang dieses Textes wohl nicht sind, da nichts davon eine Zufriedenheit bringt, die von Dauer wäre.
Von Natur aus sind Jungs genauso zart und feinfühlig wie Mädchen, liebevolles Miteinander und Offenheit sind ihre Natur. Wo in unserem Leben bleibt das auf der Strecke?
Der Haken ist, dass wir von klein auf darauf trainiert werden, den Blick nach außen zu richten, auf das, was wir erreichen und tun können. Wenn unser Radar einmal so gepolt ist, ist das permanente Gefühl zu Versagen – egal ob wir uns das eingestehen oder nicht – vorprogrammiert. Denn egal wie viel Geld, Macht und Einfluss wir erlangen, nichts davon lässt uns ganz zur Ruhe kommen, nichts macht final glücklich, im Hintergrund bleibt mehr oder weniger deutlich immer das Gefühl, dass wir noch mehr hätten erreichen können.
Wenn wir hingegen ganz in uns ruhen und mit uns glücklich sind, sind die äußeren Umstände vielleicht ein netter Bonus, aber nicht mehr der Rettungsring, der auf uns zu schwimmt, nur um uns gleich wieder zu entgleiten.
Das gesellschaftlich anerkannte Bild des idealen Mannes dreht sich fast ausschließlich um etwas, dass erreicht und geschafft werden will, etwas, dass uns konstant in Bewegung hält.
Für die meisten von uns geht es im Leben selten bis nie darum, so zu sein, wie wir wirklich sind, und zu würdigen, was wir fühlen, geschweige denn, das dann auch noch frei auszudrücken.
Unsere Fähigkeit Gefühle zu empfinden, ist die gleiche wie bei Frauen, uns allen wohnt dieselbe Feinfühligkeit inne – und doch wird man als Mann schnell als "schwul", unmännlich oder "Weichei" abgestempelt, wenn man sich nicht in die oberflächlich joviale, darunter aber zutiefst harte und aggressive Form des modernen Mann-Seins pressen lassen möchte.
In diese Form pressen können allerdings nur wir selbst uns. Es ist, als ob wir auf Autopilot schalten und Punkt für Punkt daran arbeiten, wie "Mann" auszusehen und zu sein hat, und irgendwann hinnehmen, dass das Leben eben so ist. Wir geben unsere Wahrnehmung und unsere Gefühle auf, um Konflikte und ein Herausstechen aus der Masse zu vermeiden.
In Fitnessstudios schinden wir uns für den perfekt durchtrainierten Körper, werden zum Workaholic, um uns und unseren Familien den Lebensstil zu bieten, der uns erstrebenswert scheint – wir spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, machen immer mehr und versuchen irgendwie diese nagenden Zweifel loszuwerden, dass etwas nicht stimmt. Auf die Idee, dass uns und unserer Familie vielleicht das fehlt, was uns im Kern ausmacht, unser stilles, liebevolles und zärtliches Wesen, kommen wir meist nicht.
Wir begeben uns in eine Tretmühle aus Idealen, die sich irgendwann so vertraut und selbstverständlich anfühlen, dass es scheinbar keinen Grund mehr gibt sie zu hinterfragen.
Die offensichtlichen unter diesen Idealen, wie Extremsport, extreme Lebensstile oder völlige Selbstaufgabe sind dabei noch verhältnismäßig leicht zu erkennen, schwieriger wird es bei dem, was gesellschaftlich als gut, richtig und erstrebenswert anerkannt ist, unserer Natur aber nicht ferner liegen könnte.
Ein Mann ist nicht perfekt. Kein Mann kann jede Situation kontrollieren.
Meine Gefühle und was mich bewegt nicht zu zeigen, ist kein Zeichen innerer Stärke, sondern ein Ausdruck tiefer Unsicherheit und Angst vor Zurückweisung. Sobald wir diese heimtückischeren Ideale zu hinterfragen anfangen, beginnt es wirklich interessant zu werden, denn plötzlich stellt sich die Frage: „Warum sollte ich nicht einfach der sein, der ich bin und mich frei ausdrücken?“
Wahrscheinlich werden wir feststellen, dass es keinen wirklichen Grund hierfür gibt und dass wir alle uns gegenseitig in einem Spiel miteinander festhalten, dass niemanden glücklich macht. Anstatt uns von dem sensitiven und weichen Platz tief in uns aus mitzuteilen, entscheiden wir uns – vor allem, wenn wir „unter Männern“ sind – für die "sicherere" Konversation über etwas, das außerhalb unserer selbst liegt, etwas, mit dem wir unser Wissen vor anderen zeigen und uns behaupten können; etwas, mit dem wir mit anderen Männern konkurrieren können – ohne, dass uns das meist überhaupt bewusst wäre. Wir stecken so viel Zeit und Mühe in das, was außerhalb von uns ist, dass wir das Wichtigste vergessen!
Wir vergessen uns selbst - und lassen den zärtlichen, feinfühligen, liebevollen und fröhlichen Jungen in uns zurück, obwohl genau das eigentlich auch als Erwachsener unsere größten Stärken sind.
Diese wahre innere Stärke, die Art wie Männer von Natur aus sind, schafft eine große Freiheit. Der einzige Schritt, den es von uns braucht, ist uns zu öffnen und unser Radar vom permanenten Blick nach außen und in die Zukunft wieder auf unseren inneren Kompass und das hier und jetzt umzupolen.
Was fühle ich tief in mir drin? In diesem Moment? Erfüllt mich das, was ich mache und lässt es mich zur Ruhe kommen? Wen sehe ich, wenn ich morgens in den Spiegel schaue? Eine Baustelle, die mehr leisten könnte, wenn er nur endlich den Hintern hochbekäme oder bessere Voraussetzungen gehabt hätte, oder ein zutiefst liebenswertes Wesen, für das ich tiefe Wertschätzung empfinde und ihm gern liebevoll in die Augen schaue?
Egal, ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht, jeder von uns fühlt, was wirklich vor sich geht. Sich auf diese Tatsache einzulassen und uns selbst wertzuschätzen, ist oft ein Schwimmen gegen den Strom, aber es befreit ungemein – und erlaubt anderen um uns herum zu sehen, dass es nicht nur eine Richtung gibt.
Wie wäre es, anstatt derjenige zu sein, der sich abhärtet und vorwärts kämpft, anderen Männern die Möglichkeit zu geben, zu sehen und zu spüren, dass es in Ordnung und für einen jeden von uns eigentlich ganz normal ist, natürlicherweise vor allem liebevoll, sensibel und zärtlich zu sein? Sichtbar zu machen, worin wahre Stärke liegt.
Wenn wir uns selbst nicht mehr vorwärtspeitschen und konstant abwerten und uns vielleicht sogar darauf einlassen, uns zu öffnen, zärtlich zu sein und unsere Fürsorglichkeit und Liebe frei auszudrücken, wird sich unser Leben von Grund auf verändern. Ehrlich mit uns selbst zu werden und nicht mehr zu versuchen Fehler auf Teufel komm raus zu vermeiden, lässt uns bewusstwerden, wie sensibel und feinfühlig wir eigentlich sind – und dass genau darin letztlich unsere größte Stärke liegt.
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