Faszination Leistungssport

Sucht nach Anerkennung über Sport

Faszination Leistungssport

Wenn ich auf meine Zeit zurückblicke, in der Sport mein ganzes Leben war, wird mir bewusst, dass ich einem Ideal hinterhergelaufen bin, das nicht meiner wahren Natur entsprochen hat. Vielmehr war es für mich ein Ventil, um Spannungen abzubauen und zugleich ein Mittel, um eine innere Leere auszufüllen, die einfach unmöglich auszuhalten war. Ich suchte nach etwas, das mir schnell Erleichterung bringen und mich innerlich aufbauen sollte oder wobei ich das Gefühl haben konnte, etwas Sinnvolles gemacht zu haben.

In dieser Rückschau wird mir bewusst, welchen unverhältnismäßigen Wert ich dem ganzen Streben nach Leistung gegeben habe und wie sehr ich auf der Suche nach etwas war, das mir ein Gefühl von Wert geben würde und um mich schlichtweg anders zu fühlen.

Doch anstatt mich tiefer mit mir zu beschäftigen, spürte ich den permanenten Drang (Zwang), mich immer weiter anzutreiben und meine körperliche Leistungsfähigkeit an und über die physiologischen Grenzen zu bringen. Dieser Artikel ist weniger darauf gerichtet, sportliche Bewegung aus dem Leben zu verbannen oder eine gesundheitsorientierte Fitness zu betreiben, als vielmehr die Mechanismen einer extremen Lebensweise zu betrachten, die uns als Menschen auf den Körper reduziert und den Blick verschleiert auf jenes, was sonst in uns schlummert.

Begonnen hat mein Interesse für Sport im Alter von 6 Jahren. Ich war ein sehr lebhaftes Kind, mit hohem Bewegungsdrang, wenn ich mit meinen Freunden zusammen war, haben wir am liebsten den ganzen Tag draußen verbracht mit Fangen, Fußball, Tennis und anderen Spielen. So weit, so gut, denn es ist für Kinder ganz natürlich, sich auszutoben und im Spiel miteinander zu sein.

Irgendwann begann ich aber festzustellen, dass ich besonders schnell laufen konnte. Im Vergleich zu den Klassenkameraden war ich der Schnellste und erhielt dafür ein besonders Lob der Klassenlehrerin und auch von meinem Vater, als ich ihm davon berichtete. Für mich war dies ein erhebendes Gefühl, der Schnellste zu sein, etwas Besonderes und auch in einer gewissen Art überlegen zu sein.

Diese Art von Vergleich erweiterte sich auch noch auf Mannschaftsspiele. Ich begann, im Fußballverein zu spielen und in der Schule spielten wir auch noch Fußball. Hier veränderte sich die Qualität des Miteinanders. Vom gemeinsamen Spielen wurde es zu einem Gegeneinander und anstelle von Spaß kam der Wunsch, „ein Gewinner zu sein“ immer mehr zum Vorschein.

Dieser Vergleich und der Wunsch nach Überlegenheit kanalisierten sich im weiteren Verlauf immer mehr in die Richtung, eine Sportart intensiv betreiben zu wollen. Mein Vater, dessen Anerkennung zu erhalten mir immer wichtig war, schaute sich gerne die Spiele von Boris Becker in den 1980er Jahren an. Boris war der Held der Nation und ich registrierte für mich, dass wenn ich diese Sportart erlernen würde, die Anerkennung durch meinen Vater und die Verbindung zu ihm stärker werden würden. Gewissermaßen wollte ich auch zu einem Helden werden, so wie es viele Jungen in meinem damaligen Alter taten. Also begann ich mit 9 Jahren das Tennisspielen im Verein und Häufigkeit und Ausmaß meines Trainings nahmen im Laufe der Zeit immer mehr zu.

Nach einem Jahr begann ich damit, bei ersten vereinsinternen Wettkämpfe mitzumachen und mich in der inneren Rangliste nach oben zu spielen. Sogenannte Forderungsspiele waren für mich eine sehr große Aufregung, denn es hing viel mehr daran, als nur die eigene Spielfähigkeit auf dem Spielfeld zu zeigen, sondern eben jene Anerkennung zu erhalten, die ich immer vermisst hatte.

Wenn ich ein Spiel verlor, so spürte ich eine tiefe Traurigkeit in mir bis hin zu Wertlosigkeit, und wenn ich gewann, ein Hochgefühl, das alles andere überdeckte, vor allem die Trauer, die ich nicht spüren wollte.

Rückblickend stelle ich mir die Frage: Was genau verursachte meine Trauer, die ich damals so stark empfunden habe? Denn obwohl ich in einer Familie aufwuchs, die mir alle materiellen Wünsche erfüllte und ich mit meinen beiden Schwestern in einer scheinbar intakten Familie lebte, war es für mich so, als befänden wir uns in Wahrheit in einer Scheinharmonie.

Wir alle hatten Rollen angenommen, die es uns ermöglichten, ein bestimmtes System und Ideal von Familie aufrecht zu erhalten und jedem von uns einen Platz in der Familie sicherte.

In diesem Familiensystem gab es übergeordnete „Vorgaben“, welche durch unsere Eltern aber auch von uns Kindern geprägt wurden. „Was sollen die Leute über uns denken?“ war ein Satz, den ich häufiger hörte, welcher in der Form ausgelebt wurde, dass zwar ein schönes angepasstes Verhalten gezeigt werden durfte, die Wahrheit aber unterdrückt blieb.

Als Kind konnte ich deutlich spüren, was wahr war und was nicht und vieles hier fühlte sich nach einer falschen Harmonie an, wurde aber nicht ausgesprochen, sondern lieber unter den Teppich gekehrt. Für einen Jungen, der alles spürt und sensibel für all dies ist, gibt es irgendwann einen Punkt, an dem er sich zurückzieht und seine Gefühle unfühlbar machen möchte. Er spürt, es ist unvereinbar, einerseits das Licht einer ganzen Sonne in sich zu tragen, aber dennoch nicht genug zu sein mit dem, was er ist. Also machte ich mich auf den Weg, um diese nicht greifbaren Ansprüche zu übertreffen und die Liebe und Anerkennung meiner Eltern zu gewinnen und die Familie in ein möglichst gutes Licht nach außen zu stellen. Jeder sollte nicht nur mich bewundern, sondern auch meine Familie, dass sie einen so großartigen Sohn hat.

Somit begann ich über die Jahre immer häufiger und intensiver zu trainieren. Zu meiner Höchstzeit im Alter von 13 – 18 Jahren bekam ich 5 x in der Woche Einzeltraining zusätzlich zu den Gruppentrainings mit der Mannschaft. An den Wochenenden oder nach den regulären Trainings verabredete ich mich noch mit Mannschaftsspielern, um die Spielpraxis zu erhöhen. Darüber hinaus machte ich 3 – 5 x in der Woche Lauftraining und ein tägliches Gymnastikprogramm bis hin zum Maximalkrafttraining im Fitnessstudio. Ich optimierte meine gedanklichen Abläufe für das Training, besuchte eine Sportpsychologin und machte ein mentales Trainingsprogramm jeden Abend vor dem Einschlafen, in dem ich mich gedanklich als erfolgreichen und starken Spieler visualisierte. Vorgeschaltet war eine Phase der Körperwahrnehmung und Entspannung, um diese Eindrücke noch zu vertiefen.

Doch welche Auswirkungen hatte dies alles auf mich als jungen Menschen, auf meine Psyche und auf meinen Körper?

Körperlich machte ich zunächst erstaunliche Veränderungen: Ich wurde viel kräftiger und muskulöser, ausdauernder und war richtig fit. Ein Trainingswissenschaftler von der Deutschen Sporthochschule meinte zu mir, ich könne rein physisch bei den Top 100 der Weltrangliste mitspielen.

Lange habe ich diesen Faktor für mich glorifiziert und meinen Selbstwert daraus gezogen. Meine spielerischen Qualitäten waren zwar gut, aber nicht überragend und das Verhältnis von Aufwand und meinen Leistungen auf dem Spielfeld waren nicht im Einklang; ich konnte die Erfolgserwartungen nicht erfüllen. Hauptgrund dafür ist aus jetziger Sicht, dass ich als Mensch einfach zu sensibel war und die Folgen einer Niederlage mich tief verletzten und runterzogen – denn vom Erfolg hatte ich meinen Selbstwert abhängig gemacht.

Aus diesen Erfahrungen entwickelte ich immer mehr Angst vor dem Verlieren bis hin zu völligen Leistungsabbrüchen.

Mein Körper, den ich über die Jahre höchstintensiv belastet und immer weiter über die Grenzen angetrieben hatte, zeigte Zeichen der Überlastung: ich konnte mich immer schlechter erholen, bekam Schlafstörungen, mein Schlagarm machte mir Probleme. Zahlreiche Sehnen zeigten Entzündungszeichen vom Handgelenk bis zur Schulter und meine Wirbelsäule machte mehr und mehr Probleme. Die Folgen dessen reichen bis heute fort. So sind die Nervenwurzeln der Wirbelsäule schnell gereizt und die Sehnen meiner rechten Schulter immer wieder entzündet.

Den Ruf meines Körpers nach einer anderen Form der Bewegung und einer anderen Art, dem Leben und mir selbst zu begegnen, habe ich lange Zeit überhört.

Doch mit Mitte bis Ende Zwanzig habe ich eingesehen, dass ich meinen Körper nicht mehr so extrem belasten konnte und auch nicht mehr diese Leistungsorientiertheit in den Vordergrund rücken wollte.

Meine Art des Trainings änderte sich noch nicht fundamental, aber die Häufigkeit und die Verbissenheit legte ich nach und nach ab. Ich spürte, wie ich dadurch insgesamt entspannter wurde und auch umgänglicher. Aber es ersetzte noch immer nicht die tiefe Lücke, die ich in mir spürte – die innere Leere.

Ich erinnere mich daran, dass ich mich bereits als Kind schon fragte, ob es nicht mehr auf der Welt gab als das, was wir sehen. Existiert Gott? Habe ich eine Seele? Immer, wenn ich nachts in die Sterne geblickt habe oder auf die Weite des Meeres, spürte ich, es gibt eine höhere Weisheit und Ordnung im Leben und ich bin ein Teil davon. Viele Gedanken blieben unbeantwortet, denn die Welt präsentierte mir keine schlüssigen Antworten, die ich als wahr empfunden hätte.

Der richtige Wandel setzte ein, als ich einen Heilpraktiker aufsuchte, der mich von meinem 30. Lebensjahr an bis heute mit den Universal Medicine Therapien behandelt. Diese Behandlungen waren der Beginn einer Reise, auf der ich mich selbst finden und meine volle Kraft entfalten würde.

Der Kontakt zu meinem Heilpraktiker, dessen Ausstrahlung und seine tiefe gelebte Verbundenheit mit Gott und seiner Seele wirkten überaus inspirierend und unterstützend auf mich und ließen diese Verbindung auch in mir wieder sichtbar und greifbar werden.

Die ersten Jahre dieser Reise waren darauf ausgerichtet, meinen Körper von den eintrainierten Mustern zu befreien, wieder klarer zu werden, frei von Emotionen, die mich lange belastet hatten und mich mehr und mehr zu befreien von Idealen und Glaubenssätzen, die mein Verhalten steuerten. Die Sitzungen halfen mir, meinen Körper wieder auszurichten zu einer Qualität, die schon immer in mir war, deren Zugang ich aber versperrt hatte. So begann ich, diese Qualität wieder zu entdecken, mich ihr anzunähern und ihr zu vertrauen. Mir wurde klar, dass ich nicht aggressiv, frustriert oder traurig sein musste und dass dies definitiv nicht meinem wahren und natürlichen Wesen entsprach.

Mir wurde auch klar, dass ich die Bilder und Erwartungen ablegen kann, die ich der Welt, Gott oder meinen Eltern gegenüber hatte und auch die damit einhergehenden Rollenklischees. Mir wurde bewusst, wie sensitiv und überaus fürsorglich ich bin und dass der ‘harte Kerl‘ so gar nicht meiner wahren männlichen Natur entspricht.

Ich beobachte, dass sehr viele Männer unter der Vorstellung leiden, nicht genug zu sein und daher nach Anerkennung und Schutz suchen durch einen möglichst muskulösen und massiven Körper. Ihre Unsicherheit wird unter Muskelbergen versteckt und ihre Sensibilität und der Zugang zu ihrer nährenden Seele und ihren wahren Qualitäten gehemmt.

Männer auf allen Kontinenten streben danach, ein Held zu sein, unzerstörbar – keine Frage, auf den ersten Blick erscheint das gar nicht so abwegig und die Vorstellung ein Superheld zu sein ist verlockend. Aber was ist der Preis, was geben wir dafür auf? Und was bedeutet es wirklich ein Held zu sein?

Heute verbringe ich noch immer Zeit damit, meinen Körper zu bewegen und ihn für die Herausforderungen des Alltags zu trainieren sowie dem natürlichen Bewegungsdrang nachzukommen. Doch meine Haltung dazu hat sich komplett verändert und damit auch der Missbrauch an meinem Körper und an mir selbst deutlich nachgelassen.

Stattdessen erlebe ich immer mehr, wie eine Fülle an Freude und die Qualität von Stille und Liebe sich in mir einstellen. Mein Nervensystem hat sich zunehmend entspannt und ich habe im Laufe der Jahre eine andere Sichtweise auf das Leben entwickelt und eine andere Art, mich auf mich selbst einzulassen zu können.

Das Verhältnis zu meinem Vater hat sich auch deutlich verändert. Er liebt mich jetzt so, wie ich bin und freut sich über den Sohn, den er hat – egal welche Leistungen er vollbringt.

Mein Blick auf den Leistungssport und die Glorifizierung von Sporthelden hat sich ebenfalls stark verändert. Ich sehe in diesen Sporthelden oft den verzweifelten Jungen und egal wie erfolgreich jemand ist, wie viele Anhänger er hat und wie groß der Reichtum ist oder wie oft jemand gewinnt, es bleibt die Frage, ob tief in ihm ein Platz bleibt, der nicht erfüllt ist. Und ich weiß, dass dieser Platz sich nicht über Trophäen oder Errungenschaften, welcher Art auch immer, füllen lässt.

Ich gebe mein Selbstbewusstsein nicht mehr an andere ab, indem ich nach oben schaue und einen Sporthelden auf ein Treppchen stelle. Vielmehr begreife ich die Vielfalt des Lebens und entdecke in mir einen Reichtum, der seines Gleichen sucht.

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  • Von Stefan Weinbrenner

  • Foto: Clayton Lloyd