Ach könnte ich doch nur…

Ach könnte ich doch nur …

… keine Schokolade mehr essen
… nicht immer versagen
… endlich den Partner fürs Leben finden und glücklich werden... .

Wir sind konstant damit beschäftigt zu schauen, was alles in unserem Leben - und vor allem an uns selbst - besser sein könnte.

Dieser Blickwinkel lässt zwei mögliche Folgeszenarien zu: entweder ich fühle mich schlecht, weil ich „ständig Dinge mache, die mir nicht gut tun“, „ich ja eh nichts richtig schaffe“, „mir auch mal was Gutes verdient habe“, „keinen Bock mehr auf das Ganze habe“ … oder ich kämpfe mich, mit aller Kraft, die ich irgendwo hernehmen kann, einem Ziel entgegen, damit endlich alles „richtig“, „gut“ und „schön“ ist und ich Anerkennung bekomme. Dabei spielt es keine Rolle, ob es darum geht, etwas Ungeliebtes los zu werden oder etwas Erstrebenswertes zu erreichen.

Grundtenor bei beiden Herangehensweisen ist, dass ich mich ändern muss, etwas falsch mache, oder besser könnte, … der Blick ist auf das, was vermeintlich nicht stimmt gerichtet und der Weg vorwärts ist von Druck und fest definierten Zielen geprägt, die es zu erreichen gilt. Leichtigkeit, Liebe und Wertschätzung für mich selbst und andere sind bestenfalls kurze Momentaufnahmen. Der konstante Blick auf das nächste Ziel ist wie Scheuklappen, die mich blind dafür machen, was hier und jetzt links und rechts von mir passiert.

Was, wenn es aber gar nicht um ein Ergebnis geht? Was, wenn es gar nicht das mich störende Thema ist, welches meine Aufmerksamkeit braucht? Was, wenn es einen viel naheliegenderen Weg gibt?

Wenn wir etwas an uns verändern wollen, liegen dem oft die besten Absichten zu Grunde wie, „meinem Körper tut es einfach nicht gut, ständig Alkohol zu trinken“ oder „ich kann sehen, wie sehr meine Ausraster meiner Beziehung schaden“.

Alles in unserer bewussten Erfahrung und Erziehung hat uns darauf vorbereitet, bei einer solchen Erkenntnis das Problem zu analysieren, zu bearbeiten, zu therapieren oder zu verdrängen und zu ignorieren. Wir werden tätig – und sei es durch stumpfes Wegdrücken unserer Wahrnehmung - und fühlen uns in der Regel erstmal hauptsächlich falsch, schlecht oder unzulänglich.

Wie wäre es, an dieser Stelle innerlich einen Schritt zurück zu treten und den Blickwinkel zu verändern? Denn, die oben beispielhaft angeführten „Probleme“ fallen ja nicht vom Himmel, sondern bekommen Stück für Stück mehr und mehr Raum in unserer Wahrnehmung. Raum, den sie nur bekommen können, wenn etwas anderes gleichzeitig verschwindet.

Was im Laufe unseres Aufwachsens ganz stark schwindet, ist die natürliche Wertschätzung für uns selbst und andere und das Vertrauen auf unsere Wahrnehmung statt auf Wissen, Normen und vermeintliche Fakten.

Als Kinder sind wir meist noch sehr pragmatisch. Wir essen etwas, vertragen es nicht und lassen die Finger davon, oder es hat uns so gut geschmeckt, dass wir, obwohl wir es nicht vertragen, bockig einfach wieder zugreifen bei der nächsten Gelegenheit. Der Sturschädel, den es für die zweite Art des Angangs braucht ist schon wider unserer Natur, aber wirklich haarsträubend wird es, wenn wir dann später vom Kopf her versuchen, uns mit Erklärungen und Rechtfertigungen unser Leben so zurecht zu argumentieren, dass wir uns nicht damit auseinandersetzen müssen, mit wie viel Verachtung wir uns eigentlich selbst begegnen und daher versuchen alles richtig zu machen oder uns vorwerfen, dass wir alles falsch machen. Wir fangen an, uns in immer komplizierteren Gedankenverknotungen eigentlich simpler Fakten zu verlieren.

Wie schnell wird so aus einer simplen momentanen Erkenntnis wie „Huch, dieses Lebensmittel verträgt mein Körper ganz offensichtlich nicht, vielleicht sollte ich beim nächsten Mal die Finger davonlassen.“ ganz leicht etwas, das uns nun immer wieder bis permanent beschäftigt und begleitet, Aufmerksamkeit fordert, Emotionen auslöst und manchmal sogar vollständig anfängt, unser Leben zu bestimmen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Beziehungsbeispiel. Wenn ich spüre, dass es in meiner Partnerschaft nicht so läuft, wie es könnte, kann ich danach suchen, wo der Fehler liegt, wie wir ihn lösen können, was ich falsch mache, der andere falsch macht oder wir falsch machen – oder ich kann auch hier den Blickwinkel verändern.

Wann immer ich merke, dass ich auf Krawall gebürstet bin, könnte der erste Schritt sein zu stoppen. Zu stoppen und ehrlich anzuerkennen, dass ich in diesem Zustand nichts lösen kann, sondern nur dazu beitrage, die Situation noch verquerer zu machen – völlig unabhängig davon, wie mein Partner gerade unterwegs ist. Ich könnte meinen Fokus von meinem Partner und dem „Problem“ zwischen uns herunternehmen und mich stattdessen auf das fokussieren, was eigentlich da ist, was ich kenne und warum ich diesen Menschen liebe und mit ihm zusammen bin.

Wann immer ich nicht entspannt und freudig durchs Leben laufe, ist etwas mit mir passiert, etwas, das überhaupt nichts mit irgendjemandem um mich herum zu tun hat. Denn in diesem Fall habe ich meine Leichtigkeit, Freude und Selbstwertschätzung verloren, bzw. meine Verbindung dazu abgeklemmt, denn dauerhaft verlieren kann ich sie nicht.

Mein Job ist an der Stelle nur, meinen Blickwinkel zu ändern, die Peitsche abzulegen, mit der ich mich oder andere gerade einem Ziel oder einer Lösung entgegen peitschen will und stattdessen zu schauen, was – um beim Beispiel zu bleiben – in mir passiert sein muss, so dass ich gerade einfach nur ausrasten möchte. Was fehlt mir, was mich so angespannt und rastlos macht, dass ich dadurch ungenießbar und aggressiv werde?

Die ganz simple Antwort könnte „Liebe“ sein. Liebe zu mir selbst, statt dem nächsten imaginären Tritt in den Hintern, den ich mir dafür gebe, was ich alles vermeintlich nicht kann, nicht schaffe, oder nicht richtig mache.

Vielleicht kommt die ganze Wut, mit der ich gerade meinen Partner angehen will nämlich einfach nur daher, dass ich mich konstant innerlich selbst vermöble für all das, was ich vermeintlich nicht kann und nicht schaffe. Dass ich die im Zuge dessen mir selbst geschlagenen, inneren blauen Flecken und die durch sie verursachten Schmerzen spüre und zum Tier im Überlebenskampf werde.

Der ganz schlichte erste Schritt heraus aus einem solchen Partnerschaftsstreit – und ganz vielen anderen Situationen - könnte sein zu stoppen, die Falsch-und-Fehler-Sicht-Brille abzusetzen und die Proportionen gerade zu rücken. Wenn mein Partner wirklich ein Vollidiot wäre, würde ich ihn wohl kaum lieben. Wenn ich wirklich ein nichtsnutziger Versager wäre, wären wir wahrscheinlich nicht immer noch zusammen.

Der Blick auf die Fehler und das, was besser werden könnte ist deshalb so verführerisch, weil er so tief verwurzelt ist in den Bildern und Idealen, die wir zu unserem Normal gemacht haben - mit unserer Natur hat er aber rein gar nichts zu tun Wir lernen sehr effizient von klein auf, dass wir konstant besser werden müssen und entwickeln ein auf die Fehlersuche geeichtes inneres Radar.

Unsere Natur hingegen ist, den Fokus auf das zu legen, was ist - und den Hirngespinsten des Falsch-und-unzulänglich-Seins dadurch keinen Raum zu geben.

Wir spielen gern mal Rambo, Aschenputtel oder Hein Blöd, sind aber in Wahrheit alle Götter ohne jeglichen Makel oder Fehler. Niemand kann mir mein Recht nehmen, mich mit viel Luftanhalten und Kraftaufwand in ein Makel-und-Fehler-Kostüm zu quetschen und darauf zu bestehen, dass ich das bin, wonach ich in dem Moment aussehe und ich ganz viel an mir arbeiten muss, weil ja so vieles nicht optimal ist. Aber es wird trotzdem immer ein Kostüm bleiben – und tief in mir drin werde ich das immer wissen. Wozu also der ganze Aufwand, wenn die Wahrheit so viel simpler und schöner ist?

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  • Foto: Iris Pohl, Photographer and Videographer