Tattoos - mehr als nur ein Fashion Statement

Tattoos - mehr als nur ein Fashion Statement

Tattoos - mehr als nur ein Fashion Statement

Damals, im August 1996, als ich durch einen heftigen Klapser auf die Wange aus der Ohnmacht erwachte, da hatte ich ihn. Den ersten Strich meiner Tätowierung. Verewigt von einem Mann, den ich gerade mal eine halbe Stunde kannte. Ich war tatsächlich ohnmächtig von diesem durchdringenden, unerträglichen Schmerz gewesen.

„Nein, diese Schmerzen halte ich nicht aus. Nein, auf gar keinen Fall. Das können wir vergessen!“ „Aber Anne, jetzt hast du schon einen Strich, jetzt können wir doch nicht aufhören?!“

Meine Freundin und der Tätowierer redeten auf mich ein und sämtliche Bilder tauchten in mir auf, wie cool es doch wäre, wenn ich mit diesem Tribal auf meinem unteren Rücken aus den USA zurückkäme. Mensch, wie die anderen wohl gucken würden.

Das war mir damals sehr wichtig: Aufmerksamkeit zu bekommen, besonders und individuell zu sein und dabei unglaublich taff zu wirken. Ich wollte nicht zu meiner Sensibilität und Verletzlichkeit stehen, um nicht für andere angreifbar zu sein.

Ich wählte lieber die Härte, mit dem Glauben daran, mich dadurch gegen alles, was von außen kam, schützen zu können. Somit hatte es mich, und diese Angst davor total zu mir zu stehen, bewegte mich immer dazu, Dinge zu tun, die nicht meinem Naturell entsprachen. Das Bild und den damit verbundenen Glaubenssatz erfüllt zu bekommen, waren wichtiger, als alles andere.

Ich bin cool, wirke ganz selbstbewusst und bin besonders, wenn ich Dinge tue, die viele sich nicht trauen, die schmerzen, die Angst machen, die meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schießen lassen.

Für mich war das damals die Bedeutung von Selbstbewusstsein: Dinge bereit sein zu tun, die andere nicht einfach mal so machen und die ein gewisses Maß an abgeschnitten Sein vom eigenen Körper voraussetzten. Damals war mir nicht klar, dass ich mir selbst, meines Wertes und meiner Qualität kaum bewusst war – ich also gar kein wahres Selbstbewusstsein hatte.

Das Tattoo wurde unter höllischen Schmerzen zu Ende gestochen und es folgten über die Jahre noch 6 weitere, ebenfalls unter höllischen Schmerzen. Die Schmerzen versuchte ich während des Stechens immer „weg zu atmen“ und mich „mit dem Schmerz zu verbinden“. Eigentlich war dieser martialische Akt gar nicht auszuhalten, aber das habe ich damals über mich ergehen lassen um eben „dazu zu gehören“.

Über meine Tätowierungen denke ich heute ganz anders. Den von mir oft ausgesprochenen Satz: „Ich mag das halt, mir gefällt das, das ist mein Schmuck, mein Ausdruck!“, wenn ich gefragt wurde, warum ich Tätowierungen habe, kann ich heute mit meiner ehrlichen Motivation ausdrücken.

Was ich mochte, war die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe - zu den Tätowierten. Das stand für mich für Coolness, anders und rebellisch zu sein.

Ich habe immer sehr in Schubladen gedacht und heute weiß ich, dass diese Schubladen mir Sicherheit gaben. Ich mochte mich nicht so wie ich war und ich hatte nicht das Gefühl, dass es reicht, einfach nur in meiner Purheit zu sein. Ich hatte immer Angst, zu langweilig zu sein – eben nicht genug zu sein.

Damals wollte ich das aber nicht fühlen und so erschuf ich mir ein Aussehen, welches - so dachte ich - mich ganz selbstbewusst, kraftvoll und taff erscheinen ließ. In Wirklichkeit war ich nichts von dem, aber das wollte ich nicht annehmen. Ich lebte in einer absoluten Illusion. Irgendwo tief in mir verbarg sich sicher eine leise Ahnung darüber, was ich mir da antat, aber in dieser Ehrlichkeit wollte ich mir selbst nicht begegnen. Der Schmerz, mein eigenes inneres Getrenntsein zu fühlen, wäre zu groß gewesen.

Es lebten sehr viele Menschen in meinem Umfeld so und es gab tatsächlich keinen, der mir etwas anderes reflektierte. Viele Menschen, die mir begegneten, ließen sich von dem, was ich nach außen brachte, täuschen und so hatte ich nicht wirklich wahrhaftige, ehrliche und intime Begegnungen. Ich spielte meine Rolle, die ich mir kreiert hatte und über die Zeit wurde mein Gefängnis immer enger.

Wahrhaftig glücklich und mit mir in Verbindung war ich nicht. So lebte ich eine ganze Weile und fühlte aber ganz tief in mir, dass da irgendetwas nicht stimmte und dass das nicht meiner wahren Essenz entsprach, was ich da lebe.

Als ich offensichtlich dazu bereit war, mir meine Lebensweise anzuschauen, traf ich eine ganz wundervolle Frau, die schon seit vielen Jahren eine Studentin des The Way oft the Livingness war. Sie reflektierte mir etwas anderes. Sie lebte so ganz anders als ich, anders als alle anderen.

Ich mochte das sehr, wie sie lebte, die Art wie sie sich bewegte und was sie ausstrahlte und ich fühlte plötzlich, dass ich da an etwas andocken konnte, was auch ich wieder leben wollte und irgendwo tief in mir schlief.

Durch ihre Reflexion erinnerte sie mich wieder an mich, wer ich wirklich war und wertschätzte mich dafür. In mir hatte sich etwas verändert, ich wollte den Weg gehen, zurück zu meiner wahren Essenz.

Anfangs war allerdings sehr viel Widerstand in mir, denn all das, was mir jahrelang gedient hatte, vermeintliche Sicherheit gab, was ich bis hierhin geliebt und gelebt hatte und ich bis dato dachte zu sein, stellte ich plötzlich in Frage.

Es rief mich komplett in meine Verantwortung, mein Leben anzuschauen und meine bisherigen Entscheidungen zu reflektieren. Ich war gefragt, mir viele Dinge anzuschauen, in der Tiefe zu betrachten, zu fühlen was davon einfach nicht wahr war und sie letztendlich loszulassen.

Durch sie kam ich auch zu der Arbeit von Universal Medicine, Webinare und durch den Austausch mit anderen Frauen sehr viel Unterstützung dabei, mich wieder zurück zu mir zu verbinden und ganz viel, was ich mir selbst aufgeladen hatte, aber überhaupt nicht zu mir gehörte, loszulassen. Dieses befreiende Gefühl, je mehr ich losließ, fühlte sich sehr wahr und bekannt an.

Ich befreie mich nun mehr und mehr aus diesem Gefängnis, in welches ich mich selbst eingeschlossen hatte.

Was mir dabei sehr half und immer wieder im Alltag hilft, ist die Gentle Breath Meditation® von Universal Medicine. Durch dieses für mich ganz wichtig gewordene Werkzeug wurde ich wieder daran erinnert, wie wichtig es ist, mich durch das Atmen MIT meinem KÖRPER zu verbinden, um IN meinem Körper zu sein.

Ist das nicht absurd? Während des Tätowierens habe ich geatmet, um mich „mit dem Schmerz zu verbinden“, heute atme ich ganz bewusst, um mich mit meinem Körper zu verbinden. Dass es vor allem nicht viel Aufwendung oder Zeit braucht, um wieder in den Kontakt mit mir zu gehen. Ich wende diese Methode auch immer dann an, wenn etwas kompliziert wird, wenn ich im Kopf hänge oder wenn ich mich ins Außen ziehen lasse. Diese kurze Atemübung erinnert mich an meine Sanftheit, meine Leichtigkeit und bringt mich sofort zurück in meinen Körper, meinen Tempel, welcher alles weiß.

Ich stehe heute mehr und mehr zu meiner Verletzlichkeit, meiner Sensibilität, zu meiner Sanftheit und Weiblichkeit, ich erkenne und wertschätze meine wirklichen Qualitäten und dadurch fühle ich mich kraftvoller denn je. Ich war nie wirklich cool oder taff, das möchte ich heute vor allem auch gar nicht mehr sein. Wenn ich ehrlich bin, war dieses Vorspielen von Coolness sehr anstrengend, ich musste ja permanent etwas darstellen, was ich nicht wirklich war.

Zurückzukehren zu meiner Seele und mich mit ihr und meinem Körper zu verbinden, das gibt mir Sicherheit und das liebe ich. Dazu brauche ich keine weiteren Tätowierungen.

Ich erinnere mich noch an meinen letzten Tätowier Termin. Ich wollte mir einen Dolch auf den rechten Unterarm stechen lassen. Mein Tätowierer ließ sich unglaublich viel Zeit, probierte Pullover an die er sich persönlich bestellt hatte, trank in aller Ruhe seinen Kaffee und unterhielt sich mit seinen Kollegen, während ich wartete und wartete und wartete.

In mir wurde etwas immer lauter und mein Körper wollte einfach nur gehen, doch mein Kopf wollte nicht mitspielen. Und wieder waren da diese vielen Bilder. Ich stoppte das, was sich da alles in meinem Kopf abspielte, atmete ganz bewusst, kam wieder mit meinem Körper in die Verbindung und plötzlich stand ich einfach auf, ging zum Tresen und sagte in einer Absolutheit: „Den Termin brauche ich nicht mehr, ich habe es mir anders überlegt. Tschüss“. Der Himmel hatte mir diese Zeit geschenkt, um wieder zu fühlen, was mein Körper mir mitteilen wollte. Er wollte keine weiteren Schmerzen mehr und da konnte ich wieder etwas loslassen und bin gegangen, ohne Tattoo diesmal.

Als ich auf mein Fahrrad stieg, um nach Hause zu fahren, ergoss sich plötzlich ein Platzregen und ich wurde nass bis auf die Haut. Es fühlte sich an wie eine Ganzkörper Klärung... als würde der Regen etwas Altes, nicht mehr zu mir Gehörendes, wegwaschen wollen. Das hatte sich ziemlich gut angefühlt, auf meinen Körper zu hören – sehr weise, wahr und in Verantwortung. Wie wundervoll, wie man Zeichen vom Himmel erhält, die einen in seinen Entscheidungen bestätigen.

Heute liebe ich mich mehr und mehr mit all meiner Leichtigkeit und nehme die Zartheit an, die ich bin. Ich muss nicht mehr besonders auffallen oder mich schützen, wissentlich, dass ich einfach nur mich leben muss. Um irgendeine Art von Perfektion geht es hierbei nicht und ich weiß und erlebe: ich bin auf einem nie endenden Weg.

Meine Tätowierungen habe ich jetzt, damit darf ich nun in diesem Leben alt werden.

Wenn ich mich mit diesen bunten Bildern anschaue ist es, als hätte ich ein Kleid an, welches mir gar nicht mehr gehört. Allerdings konnte ich Tätowieren und das damit verbundene Bewusstsein hinter mir lassen und ich fühle mich heute nicht mehr mit anderen Tätowierten in dieser Form verbunden.

Ich fühle mich mit allen Menschen verbunden, egal wie sie aussehen – weil ich mit meiner wahren Essenz verbunden bin.

Gelistet unter

TätowierungSchmerzenKörper

  • Von Anne Engel

  • Foto: Steffi Henn